VfK Logo

Aus Wilhem Reich "Charakteranalyse" zur Eltern-Kind-Entfremdung

Das Buch "Charakteranalyse" des Wiener Psychoanalytikers Wilhelm Reich erschien erstmals 1933. In Nazideutschland war das Buch verboten, erreichte aber 2006 seine 8. deutsche Neuauflage, entsprechend der U.S. Fassung ab 1945: Kiepenheuer &Witsch, Köln, 8te Auflage, 1971, 1989, ISBN 10: 3-462-01982-1, ISBN 13: 978-3-462-01982-7.
 
 Im Kapitel VI. Die emotionelle Pest  (Seiten 330.-372 ), geschrieben 1945, finden sich Beschreibungen, in denen wir heute Fälle erkennen, die unter den von Richard Gardner etwa 1985 eingeführten Begriff " Parental Alienation Syndrome (PAS)" fallen würden.
   
Auf Seite 335 ist eine kurze Bemerkung:
Eine Mutter etwa, die sich der Methoden der Politik bediente, um ihr Kind dem Gatten zu entfremden, fiele unter diesen erweiterten Begriff der politischen emotionellen Pest; ebenso ein streberischer Wissenschaftler, der sich nicht durch sachliche Leistungen, sondern mittels der Methoden der Intrige zu einer hohen sozialen Stellung emporarbeitet, die in keiner Weise seinen Leistungen entspricht.

Auf Seite 341:
Ein Vater, der aus Haß gegen seine Frau, die ihm, sagen wir, untreu wurde, das gemeinsame Kind fur sich in Anspruch nimmt, handelt aus ehrlichster Überzeugung »im Interesse des Kindes«; aber er erweist sich als völlig unzugänglich jeder Korrektur, wenn das Kind unter der Trennung von der Mutter leidet oder sogar zugrunde geht; der pestkranke Vater wird sekundär allerhand Begründungen finden, um seine Überzeugung aufrecht zu erhalten, daß er es mit dem Kinde »gut meine«, wenn er es von der Mutter fernhält; er ist nicht zu überzeugen, daß das wirkliche Motiv sadistische Bestrafung der Mutter ist..

 Das erscheint hoch relelevant, weil es einen Aspekt beschreibt, den man immer in schweren PAS Fällen findet, seltsamerweise meist sogar bei entfremdenden Elternteilen, die auf Grund ihres Bildungsstandes oder sogar zusätzlich noch Berufsausbildung eigentlich in der Lage sein müssten die ernsthaften Auswirkungen ihres Verhaltens auf das Kind zu erkennen.
Diese Beschreibung entspricht übrigens auch genau der Geschichte die Theodor Fontane in seinem berühmten Roman  "Effi Briest" (1894-95) erzählt. Fontane beschreibt auch das mechanische Verhalten des entfremdeten Kindes bei den wenigen Kontakten mit seiner Mutter. [Der von Reich eingeführte Begriff ,,pestkrank" für solche Persönlichkeitsstörungen, wie hier beim entfremdenden Vater, hat sich allerdings nicht durchgesetzt, auch nicht andere seiner vielen sehr originellen Ideen.]  

Seiten 348-349: Typischer Kampf ums Kind in Scheidungsfällen :
Versuchen wir nun, diese Differenzierungen an einfachen Beispielen aus dem Alltagsleben zu überprüfen: Nehmen wir als erstes Beispiel den Kampf ums Kind, der sich bei Ehescheidungen in typischer Weise
abzuspielen pflegt.
Wir haben drei verschiedene Reaktionen zu erwarten: die rationale, die charakterneurotisch-gehemmte and die emotionell pestkranke Reaktion.
a. Rational: Vater and Mutter kämpfen um gesunde Entwicklung des Kindes mit rationalen Begründungen and Mitteln. Sie können prinzipiell einig sein, dann ist es leicht; sie können aber auch sehr verschiedener Meinung sein. Sie werden in jedem Falle im Interesse des Kindes es vermeiden, hinterhältige Methoden zu benützen. Sie werden mit dem Kinde offen sprechen und es entscheiden lassen. Sie werden ihr eigenes Interesse am Besitz des Kindes ausschalten. Sie werden sich von den Neigungen des Kindes führen lassen. Wenn der eine oder andere Ehepartner Trinker oder geisteskrank ist, wird diese Tatsache dem Kinde unter größtmöglicher Schonung als ein tapfer zu tragendes Unglück in entsprechender Weise vermittelt werden. Das Motiv ist immer Vermeidung einer Schädigung des Kindes. Die Haltung ist bestimmt durch Opferung der persönlichen Interessen.
b. Charakterneurotisch: Der Kampf ums Kind ist durch Rücksichten aller Art, durch Scheu vor Öffentlichkeit etc., gebremst. Die Führung im Konflikt hat nicht so sehr das Interesse des Kindes als die Anpassung an die öffentliche Meinung. Die charakterneurotischen Eltern fügen sich dem üblichen Brauch in solchen Dingen, also etwa der Ansicht, daß das Kind unter allen Umständen bei der Mutter bleibt, oder sie ziehen einen Gerichtsbeschluß zu Rate. Wenn einer der Ehepartner Trinker oder geisteskrank ist, dann besteht die Neigung zur Aufopferung, zur Verhüllung der Tatsache mit dem Resultat, daB das Kind sowohl wie der andere Ehepartner leiden und gefährdet werden: Die Ehescheidung wird vermieden. Das Motiv des Verhaltens ist durch den Satz »Wir wollen kein Aufsehen erregen« geprägt. Die Haltung ist bestimmt durch Resignation.
c. Emotionell pestkrank: Die Rettung des Kindes ist regelmäßig ein vorgeschobenes und, wie das Ergebnis zeigt, unerfülltes Motiv. Das wahre Motiv ist die Rache am Partner durch Beraubung der Freude am Kinde. Der Kampf ums Kind bedient sich daher der Diffamierung des Partners, gleichgültig, ob er gesund oder krank ist. Das Fehlen jeder Rücksicht auf das Kind kommt darin zum Ausdruck, daß seine Liebe zum anderen Elternteil nicht in Rechnung gestellt wird. Dem Kinde wird, um es vom anderen Partner zu trennen, beigebracht, daß der Betreffende Trinker oder geisteskrank ist, was nicht der Wahrheit entspricht. Das Ergebnis ist Schädigung des Kindes, das Motiv ist Rache am Partner und seine Vernichtung sowie Herrschaft über das Kind und nicht Liebe für das Kind.

Seiten 359-360:
Ich möchte hier ein klinisches Beispiel aus meiner ärztlichen Erfahrung einschalten.
Bei einer Ehetrennung hatte die Mutter mit dem Vater der Kinder die Vereinbarung getroffen, daß die Kinder zunächst bei der Mutter verbleiben, daß sie aber, wenn sie das 14. Lebensjahr erreichten, sich selbst freiwillig entscheiden sollten, bei wem sie weiterleben wollten. Eines der Kinder äußerte schon mit 12 Jahren den Wunsch, beim Vater zu leben. Daraufhin griff die Mutter zum Mittel der Diffamierung des Vaters, der abwesend war. Dem Kinde wurde die Überzeugung beigebracht, daß der Vater ein Mensch wäre, der andere Menschen beherrschen wollte, man müßte vor ihm auf der Hut sein, denn man könnte sich seinem Einfluß nicht mehr entziehen, wenn man einmal unter ihn geraten wäre. Diese Diffamierung war um so unverständlicher, als der Vater an der genau entgegengesetzten Schwäche litt, Menschen seiner Umgebung uneingeschränkte Freiheit zu lassen. Das Argument der Pestreaktion  wurde erst einige Jahre später verständlich: Die Entfremdung des Vaters war offenbar nicht völlig geglückt, denn die Mutter griff zu einem schärferen Mittel. Sie brachte den Kindern die Uberzeugung bei, daß der Vater verrückt geworden and daher gefährlich wäre. Dies wirkte. Das Kind entwickelte eine neurotische Selbstversagung. Seine Charakterhaltung begann sich immer mehr dahin zu entwickeln, daß man sich gerade das, was man am sehnlichsten wünschte, zu versagen hatte.Das wurde nun zu einem Zwang. Der Einfluß der Mutter verinnerlichte sich im Kinde in so hohem Grade, daß das Kind sich jahrelang den heißen Wunsch, den Vater zu besuchen, versagte. Obwohl es später einsah, daß die Verrücktheitserklärung des Vaters ein Mittel, es fernzuhalten, gewesen war, behielt es die nun phobisch gewordene Angst, den Vater zu besuchen, bei. Obwohl es nun erwachsen war, war es unfähig, sich von der Mutter zu lösen and sein eigenes Leben zu führen. Es schob seinen Entschluß, das mütterliche Haus zu verlassen, immer wieder hinaus. Es war deutlich, daß eine Zwangshemmung es im Hause der Mutter festhielt. Genau das also, was diese Mutter dem Vater des Kindes zugeschrieben hatte, war komplett gelungen. Im Leben des Kindes hatte sich ein irreparabler Bruch festgesetzt. Die Selbstversagung durchaus rationaler Wünsche war zu einer dauernden Grundhaltung geworden. Obwohl sie den Vater sehr schätzte und liebte, vermochte sie es nicht über sich zu bringen, mit ihm auch nur wenige Tage in den Ferien oder bei ähnlichen Anlässen zu verbringen.

Das ist vielleicht das relevanteste Zitat, da es auch beschreibt was im Kinde passiert, als Folge des entfremdenden Verhaltens seines betreuenden Elternteils  Dass dieser Elternteil dem anderen etwas vorwirft  (hier: andere beherrschen zu wollen) was nur auf ihn selbst zutrifft, nennt man heute in der Psychiatrie "Projektion".

Zur Homepage von Väter für Kinder  Impressum