Teilübersetzung aus ,, Expanding the parameters of parental alienation syndrome", American Journal
of Family Therapy, 21 (3), 205-215, 1993.
Erweiterung der Parameter des Parental Alienation Syndroms
Glenn F. Cartwright
1. Parental alienation syndrome kann durch elterliche Streitigkeiten über andere Angelegenheiten als das Sorgerecht ausgelöst werden: Hingewiesen wird darauf, daß
Streit jeder Art, z.B. über finanzielle Angelegenheiten [in die Kinder oft bewußt vom entremdenden Elternteil hineingezogen werden], PAS auslösen kann, auch ein neuer Ehegatte, neue
Schwiegereltern, oder sogar skrupellose Rechtsanwälte deren Wunsch es ist, die Auseinandersetzung auszuweiten, statt zu lösen.
2. Anschuldigungen von erfundenem sexuellen Mißbrauch können "virtuell" sein: Damit ist eine neu beobachtete Variante von
Mißbrauchsanschuldigungen gemeint, ,,in denen der Mißbrauch nur angedeutet ist, mit dem realen Ziel den Charakter des Nichtsorgeberechtigten anzuschwärzen, in einem andauernden
Programm von Verunglimpfungen. Dem Entfremder ersparen virtuelle Anschuldigungen die Notwendigkeit Vorfälle des behaupteten Mißbrauchs zu erfinden, mit der Gefahr entdeckt zu werden und
der Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung wegen Falschaussage." Selbstverständlich ist die Bezeichnung PAS bei wirklichem Mißbrauch völlig unangebracht. Jede Beschuldigung muß
raschestens geklärt werden um eine Gefährdung des Kindes auszuschließen, aber auch um einer Entfremdung im Falle einer unbegründeten Anschuldigung entgegenzuwirken.
3. Zeit heilt alle Wunden, außer Entfremdung: ,,Die Manipulation der Zeit wird zur Hauptwaffe in den Händen des Entfremders der sie benützt um die Zeit des Kindes zu
strukturieren, zu besetzen und zu rauben, um "kontaminierenden" Kontakt mit dem verlorenen Elternteil zu verhindern, und so beide ihres Rechts Zeit gemeinsam zu verbringen zu berauben [die dem Kind
ermöglichen würde sich ein reales Bild vom anderen Elternteil zu machen] und das Ziel einer totalen Entfremdung zu fördern. Ungleich Fällen einer Kindesmißhandlung wo Zeit
weg vom Mißhandler manchmal hilft die beschädigte Beziehung zu reparieren, fördert bei PAS Zeit weg vom verlorenen Elternteil das Ziel der Entfremdung." .. ,,Ein Richter der
vielleicht nicht auf eine(n) Neunjährige(n) hört der/die plädiert seinen oder ihren Vater nicht sehen zu wollen, mag eher geneigt sein auf eine(n) ältere(n), "klügere(n)",
und mehr artikulierte(n) Dreizehnjährige(n) zu hören. Die zeitliche Ausdehnung der Gerichtsverfahren hilft nicht nur bei der Gehirnwäsche und der Zermürbung des Antragsstellers,
sondern sichert dem Entfremder einen stärkeren kindlichen Verbündeten wenn der endgültige Gerichtstermin festgelegt wird. So ist es, daß Zeit oft "gekauft" wird durch
Falschanschuldigungen, durch Behauptungen das Kind sei bei Kontakten mit dem verlorenen Elternteil in Gefahr, und durch Ersuchen an das Gericht um Aufschub, Fortsetzungen und Verschiebungen.
Manchmal werden sogar psychologische Gutachten oder psychiatrische Untersuchungen in den Dienst gestellt, als Teil der Verzögerungstaktik, dann fallengelassen, wenn die gewünschte
Verzögerung erreicht wurde."
4. Der Grad der Entfremdung des Kindes ist direkt proportional zur auf die Entfremdung angewandten Zeit.
5. Gerichte die langsam sind Entscheidungen zu fällen können unbeabsichtigt die arglistigen Pläne des entfremdenden Elternteils zur Entfremdung unterstützen: Der
richterliche Wunsch den status quo im Leben der Kinder zu erhalten [im Sinne des Kontinuitätsprinzips], solange die Entscheidung der hoch strittigen Sorgerechtsauseinandersetzung offen
ist, kann zum Vorteil des entfremdenden Elternteils wirken. Je länger die Kinder in einer nicht-unterstützenden Umgebung sind, umso weiter driften sie vom nichtsorgeberechtigten
Elternteil weg [Goldwater, 1991]
6. Wirkungsvolle Entscheidungen sind nötig um der Entfremdung entgegenzuwirken: Wenn Eltern welche PAS betreiben wissen, daß Richter die sich der Sache bewußt sind, das
Sorgerecht dem unschuldigenElternteil zuteilen könnten und vielleicht sogar Sanktionen gegen den Elternteil ergreifen könnten die ein Kind benützen um dem anderen Elternteil
vom Kontakt zum Kind auszuschließen, dann kann PAS, welches in sich selbst eine Art von Kindesmißhandlung ist, einen fatalen, wohlverdienten Rückschlag erleben [Levy,
1992].
7. Exzessive Entfremdung kann psychische Erkrankungen im Kind auslösen:
Johnston, Campbell, und Mayers (1985) berichteten, daß eine Reaktion von heranwachsenden Kindern (6-12 Jahre) auf elterlichen Konflikt ist, in einer diffus gestörten Art mit Angst,
Spannung, Depression, und psychosomatischen Erkrankungen zu reagieren. Es muß der Frage nachgegangen werden, was langfristig mit Kindern passiert die entfremdet werden. Ist das Problem
selbstbegrenzt in dem, daß sogar entfremdungsbedingte Wunden heilen werden wenn das Kind in das Erwachsenalter eintritt? Leider kann Entfremdung so mächtig werden, daß andere
Formen einer seelischen oder emotionalen Erkrankung ausgelöst werden können mit entsprechenden Anpassungsproblemen.
8.Wenig ist über die mittelfristigen und Langzeiteffekte von PAS auf seine Opfer bekannt:
Vielleicht die größte Lücke in unserem Verständnis des Syndroms bleibt unser Mangel an Wissen was aus PAS Opfern mittel-und langfristig wird. Die Kurzeitkonsequenzen sind
bekannt und offensichtlich. Der Entfremder genießt die Süße der Rache und den Reiz des "Sieges". Der nichtsorgeberechtigte Elternteil erfährt die Qualen des Verlustes eines
Kindes, oder schlimmer, Kindern. Ein Satz von Großeltern, Verwandten und Freunden ist ähnlich betroffen und pauschal entlassen. Weit ernster ist die Wirkung auf das Kind welches
einen großen Verlust erleidet, dessen Ausmaß verwandt ist dem des Todes eines Elternteils, zweier Großeltern und aller Verwandten und Freunde des verloren gegangenen Elternteils,
und das alles gleichzeitig! Es kann leicht gesehen werden, daß das einen erschütternden Verlust für das Kind bedeutet, sogar größer als der Tod eines Elternteils.
Weiters, da das Kind nicht in der Lage ist diesen Verlust zuzugeben, noch weniger zu betrauern, wird daraus im Leben des Kindes eine große Tragödie von monumentalen Ausmaßen, deren
Ernsthaftigkeit man nicht überschätzen kann.
Das sind die bekannten und relativ kurzzeitigen Konsequenzen. Was sind aber die mittelfristigen Konsequenzen? Die mittelfristigen Konsequenzen betreffen die fortgesetzte Abwesenheit (im Gegensatz
zum anfänglichen Verlust) des verloren gegangenen Elternteils (und Großeltern, Verwandten und Freunden) und die Wirkung die das auf die Entwicklung des Kindes hat. Gewöhnliche
Kinder welche ohne einen Elternteil oder Großelternteil aufgewachsen sind berichten oft über "etwas Fehlendes" in ihrer Kindheit. Was verloren geht, ist selbstverständlich die
Wechselwirkung von Tag zu Tag, das Lernen, die Unterstützung und die Liebe die normalerweise von Eltern und Großeltern ausgeht. Während im Todesfall dieser Verlust unvermeidlich
ist, ist er im Falle von PAS völlig vermeidbar und daher unentschuldbar.
Was zu den Langzeiteffekten? Jedermann der mit PAS zu tun hat erleidet langfristig ein gewisses Ausmaß an Bedrückung. Das schließt hoffentlich den Entfremder ein, welcher, trotz
des anfänglichen Hochgefühl des "Gewinnens" kaum die gesamte Erfahrung als angenehm empfinden sollte. In späteren Jahren, sogar wenn die Entfremder nicht eine Art Schuld oder
Bedauern wegen ihrer Aktionen verspüren, können sie doch etwas Sympathie für die Kinder entwickeln die sie eines Elternteils beraubt haben.
Der nichtsorgeberechtigte Elternteil verspürt sowohl Verlust und doch fortwährende Sorge um das Kind. Diese Qualen sind verwandt denen die Eltern fühlen wenn ein Kind
vermißt ist. Da der Mangel an Kontakt über Jahre dauern kann, kann das Gefühl des Verlustes über eine ähnliche Periode fortdauern. Großeltern leiden oft unnötig
und oft schwer. Garnder (1992) berichten von mindestens zwei Fällen in denen Großmütter, anderseits bei guter Gesundheit, bildlich gesprochen, an gebrochenen Herzen über dem
Verlust ihrer Enkelkinder starben.
Natürlich ist es das Kind das am meisten leidet. Im Anfangsstadium erfährt das Kind nicht nur den Verlust eines Elternteils, sondern auch das andauernde Sperrfeuer der Verunglimpfung
des verloren gegangenen Elternteils, der Großeltern, Verwandten und Freunde. Es ist schlimm genug einen Elternteil zu verlieren; Schlimmer ist es aber die guten Erinnerungen an diesen
Elternteil, Verwandte und Freunde vorsätzlich und systematisch zerstört zu haben.
Im zweiten Stadium, vielleicht Jahre später, beginnt das Kind zu verstehen was wirklich passiert ist. Die Erkenntnis dem Entfremder geglaubt zu haben, den verloren gegangenen Elternteil
fälschlich abgelehnt zu haben, und schlimmer ein biegsamer Komplize und williger Beitragender gewesen zu sein, kann starke Gefühle der Schuld auslösen. Die unglückseligen
Konsequenzen dieser Gefühle können ein Backlash gegen den entfremdenden Elternteil sein. Sagt Goldwater (1991, p. 128):
Wenn ein solches Kind erwachsen wird, kann das Bewußtsein der erzwungenen Abwesenheit des entfremdeten Elternteils über viele Jahre einen zerstörerischen Einfluß haben und
langfristige Gefühle von Schuld und Verlust hinterlassen. Der entfremdende Elternteil mag dann die Wut seines erwachsenen Kindes erleiden die das Kind spürt weil er diesen Verlust
ausgelöst hat, und dann selbst aus dem Leben des Kindes ausgeschlossen werden.
Ernsthafte emotionale Probleme können die Folge sein. Kinder die eine erfolgreiche Anpassung machen sollen, stehen vor einer enorm schwierigen Aufgabe: Vermeidung der tendenziellen Backlash
Reaktion des entfremdenden Elternteils, diesem Elternteil zu vergeben und eine gute Beziehung zu diesem Elternteil aufrechtzuerhalten; und die guten Erinnerungen an den verloren gegangenen
Elternteil wiederherzustellen (die oft bei PAS ausradiert werden) und eine normale Beziehung zum verloren gegangenen Elternteil aufzunehmen, falls dieser Elternteil noch lebt, verfügbar und
bereit ist. Die Wiederherstellung der Beziehung zum verloren gegangenen Elternteil ist natürlich eine gewaltige Aufgabe. Es involviert die verloren gegangene Zeit und Erfahrungen nachzuholen,
verstandesmäßig und gefühlsmäßig zu verstehen was während des Entfremdungsprozesses passiert ist, wieder zu lernen mit dem verloren gegangenen Elternteil in
Wechselwirkung zu treten, eine liebevolle Beziehung wiederherzustellen, und die Fortdauer dieser Beziehung für die Zukunft zu planen. Therapie sowohl für das Kind als auch den verloren
gegangenen Elternteil kann erforderlich sein. Zusätzlich muß das Kind zu diesem späten Zeitpunkt lernen, wie man die vielleicht immer noch kriegführenden Eltern
"jongliert"--eine Kunst welche die meisten Kinder geschiedener Eltern für gewöhnlich viel früher erlernen. Das sind keine leichten Aufgaben und all das setzt voraus, daß
die Kinder die Teenagerjahre ohne andere ernsthafte emotionale oder verhaltensmäßige Probleme überstehen, die oft das Pubertätsalter begleiten.
Wenn alles gut geht, würde man hoffen, daß schließlich die Anpassung dieser Kinder möglich ist. Zu den negativen Faktoren welche einer erfolgreichen Anpassung
entgegenwirken gehören die Nichtbereitschaft oder emotionale Unfähigkeit des verloren gegangenen Elternteils wieder involviert zu sein, die Abwesenheit oder der Tod des verloren
gegangenen Elternteils, das Hinscheiden der Großeltern und anderer Verwandter und Freunde die eine nicht füllbare Leere im Leben des Kindes hinterlassen.
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