Väter für Kinder e. V. Buchbesprechung:
Soeben erschienen:
Gabriele ten Hövel
Kösel
Verlag, München, 2003, 200 Seiten, Kt | kartoniert (Book - softback) mit
Schutzumschlag
ISBN: 3466306280, EUR 17,95, SFR 31,30.
Es gibt nicht allzu viele Sachbücher die ich in einem durch, also ohne Unterbrechung, gelesen habe. Das kann nur gelingen, wenn das Buch, neben einem moderaten Umfang, in einem guten, packenden Stil geschrieben ist. Über einen solchen Stil verfügt zweifellos Gabriele ten Hövel, die viele Jahre als Fernsehredakteurin und Rundfunkautorin arbeitete und zusammen mit dem Psychotherapeuten Bert Hellinger einen Bestseller ('Anerkennen was ist') verfasste, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Im Vorwort erklärt sie, warum sie dieses Buch geschrieben hat: Berührung über eine eher zufällige Begegnung mit einem ausgegrenzten Vater, aber ganz wesentlich auch auf Grund der allerdings völlig anderen persönlichen Erfahrung als geschiedene Mutter von drei Söhnen. Nach ihrer Schilderung ist ihr und ihrem früheren Mann gelungen, was man allen Trennungs-/Scheidungskindern wünschen möchte, nämlich die strikte Trennung der zerbrochenen Paarebene von der bleibenden gemeinsamen Elternrolle. Den Kindern blieben so die Eltern erhalten.
Das Buch handelt von der genau entgegen gesetzten Situation, nämlich der Ausgrenzung und Verteufelung eines Elternteils, nicht selten mit allen Mitteln. Umgang der Kinder mit diesem Elternteil wird ständig vereitelt und den Kindern wird solange ein negatives Bild von ihrem Vater oder ihrer Mutter vermittelt bis sie von selbst den Kontakt mit diesem "bösen" Elternteil ablehnen und damit die Entfremdung "perfekt" ist. Bei den Vorwürfen wird oft vor gar nichts zurückgeschreckt. Nicht nur wird behauptet, dass dieser Elternteil lieblos war und sich ohnehin nie um die Kinder kümmerte, er oder sie sei auch unzuverlässig, unmoralisch, verrückt oder gar gefährlich. Gegenüber Vätern kommt nicht selten als ultimative Waffe im "Familienkrieg" ein Vorwurf des sexuellen Missbrauchs am eigenen Kind zum Einsatz. Dieser Vorwurf erweist sich, schon wegen der damit verursachten Verfahrensverzögerung und Aussetzung des Umgangs, als sehr wirksam, selbst wenn er schließlich als völlig unbegründet ausgeräumt werden kann.
Das Ganze hat etwas sehr Absurdes an sich, wenn man bedenkt, dass der jetzt verteufelte Elternteil oft über viele Jahre der allein auserwählte, über alle sonstigen Bekannten herausgehobene Partner war, mit dem man alles teilen wollte und plötzlich die in diesem Partner gesehenen Qualitäten in ihr Gegenteil verkehrt werden. Die Absurdität dieses Geschehens erfasst man am ehestens an Hand von Fallgeschichten, statt an Hand einer theoretischen Aufzählung von Verhaltensmustern. Nach der Vertrautheit mit wenigen solcher Fallgeschichten merkt man ohnehin, dass sich die grundlegenden Verhaltensmuster auf zunächst erstaunliche Weise gleichen. Genau diesen Zugang ermöglicht die Autorin in hervorragender Weise, indem sie zwischen reinen Fallgeschichten (typisch, aber bei weitem nicht die allerschlimmsten, absurdesten, die wir kennen) und zusammenfassenden theoretischen Abschnitten abwechselt. Dabei haben diese theoretischen Abschnitte überhaupt nichts an überheblich Belehrendem an sich. Sie sind vielmehr in erster Linie eine sehr gelungene Zusammenfassung von Fachaufsätzen oder Büchern anerkannter psychologischer Experten, im Falle des sehr ausgiebig zitierten Buches von Richard A. Warshak, ,,Divorce Poison" sogar als bisher noch einzige deutsche Übersetzung. (Es ist zu hoffen, dass bald das gesamte Buch in Deutsch zur Verfügung steht.)
Ausgiebig zitiert wird auch ein Aufsatz des Psychologen Walter Andritzky, der den Mut hatte ein Thema aufzugreifen das sich einem beim Hören oder der Lektüre von Fallgeschichten eigentlich immer wieder aufdrängt, die Frage nach ,,Verhaltenmuster und Persönlichkeitsstruktur entfremdender Eltern". Auffällig an den erwähnten Verhaltensmustern ist nämlich nicht nur, dass sie ständig in praktisch gleicher Weise auftreten (Wolfgang Klenner, der PAS erstmals in Deutschland in einer nun klassischen Arbeit erwähnte, sprach von "Ritualen der Umgangsvereitelung") und ihre Irrationalität, sondern auch, dass der ausgrenzende/entfremdende Elternteil sehr oft über einen Beruf oder Bildungsstand verfügt mit dem er eigentlich besonders befähigt sein müsste den im Kind angerichteten Schaden zu erkennen, aber anscheinend auf Grund der Persönlichkeitsstruktur sein Verhalten nicht ändern kann. In manchen Fällen mag dies sogar eine Art von Paranoia sein, mit dem festen Glauben das Kind vor dem vermeintlich "bösen Elternteil" (aber früher geliebten Partner) mit aller Macht schützen zu müssen. Die Beurteilung solcher Persönlichkeitsmuster / Persönlichkeitsstörungen muss unbedingt entsprechend ausgebildeten Fachleuten überlassen werden. Auf keinem Fall sollten sich ausgegrenzte Elternteile daran mit Vorwürfen beteiligen, sondern sich vielmehr stets selbstkritisch Fragen stellen, was sie selbst möglicherweise zu der schwierigen Situation beitragen und wie sie diese für die Kinder verbessern könnten. Auch diesem Aspekt wird im Buch von Gabriele ten Hövel viel Beachtung geschenkt.
Ein weiterer Aspekt der sich eigentlich zwangsläufig aus dem Studium von Fallgeschichten und der Persönlichkeitsstruktur entfremdender Eltern ergibt, der aber leider gerade von deutschen Familiengerichten viel zu selten beachtet wird, ist dass darin Einsicht in das Kind schädigende Verhalten nicht vorkommt. Selbst "Therapien" , z. B. wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs, werden weiter durchgeführt, nachdem die Vorwürfe längst durch Fachgutachten und Justiz entkräftet sind. Das bedeutet, dass Appelle an diese Einsicht, wie sie gelegentlich erfolgen, völlig wirkungslos sind, wenn nicht gleichzeitig mit der Androhung von Sanktionen, die aber gegebenenfalls auch tatsächlich erfolgen müssten, der Einsicht deutlich genug "nachgeholfen" wird. "Entfremder brauchen Grenzen" ist dementsprechend der Titel eines Buchabschnittes.
Kein Autor, der auch nur einmal das Wort "PAS" erwähnt, kann eine Auseinandersetzung mit der unseligen Kontroverse um diesen von R. A. Gardner geprägten Begriff ganz vermeiden, wobei es eine (noch dazu geschiedene) Autorin und Mutter vielleicht leichter hat und möglicherweise allein schon auf Grund ihres Geschlechts die so oft erhobene Behauptung, PAS sei eine Anschuldigung die sich einseitig gegen Mütter richte, wesentlich entkräften kann. Dennoch wird diese Kontroverse und ihre Entstehungsgeschichte besprochen. Eigentlich müsste es genügen, meinen wir, sich einfach Fallgeschichten, wie in diesem Buch, vor Augen zu führen und zu überlegen wie man damit am besten umgeht. Bezeichnungen, die aber bekannte Verhaltenmuster für Fachleute zusammenfassen können, sind dann sekundär und die umfängliche Diskussion darüber ob PAS nun ein Syndrom ist oder nicht erst recht überflüssig. Das Buch sorgt auch bei der Auswahl von Fallgeschichten für Ausgewogenheit, in dem es auch über Väter als entfremdenden (statt entfremdeten) Elternteil berichtet. Wir betonen auch auf unseren Seiten immer wieder, dass dies in erster Linie eine Frage der "Macht" über das Kind ist. Allein schon wegen der derzeitigen Zahlenverhältnissen beim Wohnelternteil erübrigt sich eine Diskussion etwaiger geschlechtsspezifischer Unterschiede bei den Verhaltensmustern entfremdender Eltern.
Für Umschlagtext und Inhaltsverzeichnis, wie wir sie meist bei unseren Buchbesprechungen anführen, können wir dankenswerter Weise einfach auf die Webseiten des Verlages verweisen, die auch das Vorwort zum Buch enthalten.
Zusammenfassend: Ein empfehlenswertes, sehr gut lesbares Buch. Zu letzterem trägt, selbst in unserem elektronischen Zeitalter, für den Rezensenten jedenfalls, auch die gute Buchgestaltung bei. Der Preis dafür ist zumindest angemessen, wenn nicht bescheiden.
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