Zum Umgang
Am 18. Februar 1993 hat die 3. Kammer des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichtes
durch den Präsidenten Herzog, den Richter Dieterich und die Richterin
Seibert einstimmig einen bemerkenswerten Beschluß gefaßt. Das
Aktenzeichen ist 1 - BvR 692/92. Im folgenden eine Kurzinformation. Jedem,
der ähnliche Probleme hat, ist die Lektüre dieses Urteiles dringend
anzuempfehlen. Es handelt sich um eine wahre Fundgrube!
Es geht um das Umgangsrecht eines Vaters. Gegen den Willen der Mutter
hatte das zuständige Amtsgericht dem Vater Umgang gewährt an
jedem ersten und dritten Wochenende von Freitag abends bis Sonntag abends,
in den ersten zwei Wochen der Sommerferien, sowie an bestimmten Feiertagen.
Die Mutter ging in die Beschwerde beim OLG Koblenz, wo sie erfolgreich
war. Die Begründung des OLG Koblenz bestand im wesentlichen darin,
daß der Koblenzer Senat die Regelung im Vergleich zu ähnlichen
Fällen und zur eigenen Spruchpraxis als zu weitgehend befand. Die
vorher geübte Umgangsregelung sei selbst schon sehr großzügig
gewesen (eine Übernachtung, aber keine Sommerferien). Es folgen weitere
Ausführungen des Koblenzer Senats, die dem allgemein üblichen
Schema folgen. Es erübrigt sich, dies hier breitzutreten.
Einige Kernsätze aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes
(Hervorhebungen von mir):
Der angegriffene Beschluß verletzt den Beschwerdeführer
in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. (Pflege und Erziehung
der Kinder sind das natürliche Recht und die zuvörderst ihnen
obliegende Pflicht.)
Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteiles
steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteiles unter
dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen
aus dem natürlichen Elternrecht und der damit vebundenen Elternverantwortung
und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert
werden. Der sorgeberechtigte Elternteil muß demgemäß grundsätzlich
den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen.
Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechtes
nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl
die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl
des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt.
Die Gerichte müssen sich daher um eine Konkordanz der verschiedenen
Grundrechte bemühen.
Dabei ist der Grundrechtsschutz auch durch die Gestaltung des
Verfahrens sicherzustellen; ...
Die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen
und die von ihnen im einzelnen vorgenommenen Abwägungen hat das Bundesverfassungsgericht
nicht nachzuprüfen.
...Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch,
ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechtes beruhen.
Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung
mit Art. 6. Abs. 2 GG nicht vereinbar. (Ende des Zitats)
Diese Entscheidung zeigt neuerlich mit welch grundsätzlich falscher
Anschauung die Familiengerichte und die Obergerichte an die Frage des Umganges
herangehen. Die vom BVerfG gerügte Verwendung von formelhaften Begründungen,
die Typisierung der Fälle, die Berufung auf die "Spruchpraxis" sind
allesamt mit der Verfassung unvereinbar. Diese Züge tragen aber die
Mehrzahl der Umgangsverfahren in Deutschland.
V.i.S.d.P. Prof. Dr. M. Reeken
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