Väter für Kinder e.V. informiert:

Aus der Süddeutschen Zeitung (Bayernteil) Nr. 17/ Seite 45 vom 22.1.1998 (mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags):

Modellversuch im Regensburger Familiengericht

Wenn das Scheiden nicht weh tun soll

Psychologische Beratung scheidungswilliger Eltern hilft Kinderleid verhindern

Von Rolf Thym

Regensburg - Vor sechs Jahren, als am Regensburger Amtsgericht ein bundesweit einmaliger Modellversuch begann, sagte Reinhard Loewenich vom Diakonischen Werk, es könne - ,,keine Statistik das Leid und die Probleme erfassen", die bei Ehescheidungen ,,auf die Kinder zukommen". Die Absicht des Modellversuchs, dieses Leid erst gar nicht entstehen zu lassen, es zumindest aber abzumildern, hat sich weitgehend erfüllt, weil die Familienrichter am Regensburger Amtsgericht seit November 1991 über eine außergewöhnliche Möglichkeit verfügen, den vor Gericht getragenen Streit zu entschärfen: Vier Psychologinnen und Psychologen des Diakonischen Werks die sich zusammen eine Planstelle teilen - stehen an den Verhandlungstagen des Familiengerichts in einem Zimmer gleich neben dem Sitzungssaal als Berater und Vermittler zur Verfügung. So bleibt es den vor der Scheidung stehenden Eltern erspart, umständlich Termine mit einer Beratungsstelle zu vereinbaren.

  Während der vergangenen sechs Jahre nahmen 818 Familien die im Regensburger Justizgebäude angebotene ,,Familienberatung bei Trennung und Scheidung" in Anspruch - in den meisten Fällen offenbar mit Erfolg: Gut 80 Prozent der Eltern waren nach dem Abschluß ihrer Verfahren der Meinung, daß diese Art der Beratung und Vermittlung zur Pflicht werden müsse.

 Die Regensburger Familienrichterin Helga Lossen sieht in der Beratung innerhalb des Gerichtsgebäudes eine wesentliche Erleichterung für trennungswillige Eltern -aber auch für die Richterinnen und Richter: Durch die Beschlüsse von Familiengerichten werde den Kindern geschiedener Eltern oft Schaden zugefügt, ,,weil die Eltern nicht in der Lage sind, diese Entscheidung zu leben". Durch die Möglichkeit, fachliche Hilfe bei Trennungskonflikten ohne Zeitverlust und Umwege noch im Gerichtsgebäude anbieten zu können, ist nach Meinung der Richterin Lossen ,,fast eine Art Traum Wirklichkeit geworden".

  Zwei Jahre lang, zwischen 1994 und 1996, haben das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) und der an der Regensburger Fachhochschule lehrende Professor Wolfgang Buchholz-Graf die Ergebnisse der Beratung am Familiengericht ausgewertet. In einer Zusammenfassung der wissenschaftlichen Untersuchung heißt es, das Regensburger Modell habe ,,einen bundesweit bislang einzigartigen Weg eingeschlagen". In der Studie- die im Frühjahr als Buch erscheinen wird (,,Familienberatung bei Trennung und Scheidung", Lambertus-Verlag, Freiburg) wird anschaulich geschildert, wie man sich die Zusammenarbeit von Gericht und Psychologen zum Wohl von Eltern und Kindern vorstellen muß: ,,Bereits nach der Aktenlage ", so wird der Beginn einer typischen Scheidungsverhandlung beschrieben, hat die Richterin eine Beratung in Erwägung gezogen.

Ein alter Streit entflammt

   In der Verhandlung selbst sind sich die Eltern zwar darüber einig, daß die Mutter das alleinige Sorgerecht erhalten soll doch bei der Frage, wie oft und wann der Vater die beiden Kinder sehen kann, flammt ein alter Streit auf. Die Richterin verweist darauf, daß sich in einem Zimmer gleich neben dem Sitzungssaal ein Berater des Diakonischen Werks bereithält, der völlig unverbindlich und vertraulich den Eltern dabei helfen könne ihren Konflikt auszutragen. Die Richterin kann das Ehepaar dem Berater vorstellen, der mit den Scheidungswilligen je nach deren Wünschen, Treffen allein zu zweit oder zusammen mit den Kindern vereinbart. ,,Es kommt nach teilweise schwierigen Gesprächen zu einer Einigung", heißt es am Ende der Beschreibung dieses Beispiels, ,,und vor allem ist bei den Noch-Eheleuten die Bereitschaft gewachsen, den Kindern beide Eltern zu erhalten". Auf der Grundlage dieser Einigung vollzieht die Richterin schließlich die Scheidung.

  Wenn es nach den Autoren der Studie geht, darf das Regensburger Modell kein Einzelfall bleiben. Schließlich bestehe nach den Vorschriften des neuen Kindschaftsrechts ein erhöhter Beratungsbedarf, der aber nur durch ,,gerichtsnahe" Einrichtungen erfüllt werden könne. Im Vergleich zu den weit überwiegend positiven Ergebnissen der Beratung am Regensburger Familiengericht halten sich die Kosten in Grenzen: Pro Jahr müssen für die Psychologen, für eine Schreibkraft und für Arbeitsmaterial ganze 150 000 Mark aufgewendet werden, die sich die Stadt und der Landkreis Regensburg sowie das Sozial- und das Justizministerium.

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Anmerkungen (Web Master VfK):
Die Familienrichterin am Landgericht Regensburg, Helga Lossen, war übrigens zu der Anhörung vom 24.2.1996 zur Neuregelung des Kindschaftsrechts geladen, vgl. Woche im Bundestag, Heft 4/05.03.97. Zusammen mit dem Dipl.-Psych. Claudius Vergho von der Beratungsstelle der Diakonie in Regensburg, hat sie den folgenden Aufsatz veröffentlicht:

C. Vergho, H. Lossen,  Familienberatung bei Trennung und Scheidung: Das Regensburger Modell, Praxis der
      Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 42, 345-348 (1993).

Auch in Österreich liefen, auf Iniative von Justiz- und Familienministerium, schon seit einiger Zeit an mehreren Gerichten derartige Modellversuche zur Linderung der Folgen für Scheidungskinder. Wegen des guten Erfolgs, vor allem bei frühzeitiger Intervention, sollen Familienberatung und Mediation ausgeweitet werden. Das kündigten die Minister Michalek und Bartenstein auf einer Pressekonferenz am 12.9.1997 an. Danach haben Ehepartner, die sich scheiden lassen wollen, die Möglichkeit, sich außerhalb des Gerichtsverfahrens so konfliktfrei wie möglich zu einigen. Für Scheidungskinder (1996 waren es 16.500) soll es eine ,,Begleitung" durch geschulte Fachleute geben. Ziel ist die Vermeidung von psychologischen Problemen (Meldung des ORF World Wide Text).

Von österreichischer Seite wurden wir allerdings darauf aufmerksam gemacht, daß die derzeit noch gültige Gesetzeslage, die alleinige Obsorge (das Sorgerecht) eines Elternteils vorsieht, einer vollen Verwirklichung dieser an sich sehr lobenswerten Iniative (es gibt dazu auch einen 300 seitigen Bericht) entgegensteht, vgl. dazu auch Fallbeschreibungen und Information bei den JUSTIZWAISEN (Aktion Recht des Kindes auf beide Eltern).

Ganz anders sieht die Situation in den USA aus. Viele, wenn nicht schon die meisten Staaten, sehen Schlichtung, Beratung, Mediation, ja selbst Therapie vor, und das, wenn Kinder involviert sind,  meist sogar verpflichtend, bevor eine gerichtliche Entscheidung zu einer Scheidung oder zu Sorge/Umgangsfragen getroffen wird  (vgl. z.B. Florida). Wir werden darüber noch ausführlicher berichten.

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