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                                 Väter für Kinder e.V.
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Nummer 6/96
verantwortlich i. S. d. P.: Prof. Dr. Michael Reeken / Vorsitzender

Handelte das AG Kamen mit seinen Beschlüssen gegen §1705 BGB* contra legem?

Bei der Tagung in Tutzing im Januar 1996 konnte eine Befassung mit dieser Frage natürlich nicht ausbleiben. Die von den anwesenden Völkerrechtlern aus Deutschland ziemlich einhellig vertretene Meinung geht dahin, daß man eine jüngere Norm des BGB (wie §1705) nicht durch Berufung auf eine früher ratifizierte Konvention in ihr Gegenteil verkehren kann, da eine völkerrechtskonforme Auslegung eine BGB-Norm zwar modifizieren, aber doch nicht in ihr Gegenteil verkehren könne. Die von uns dagegen angeführte Vermutungsregel des BVerfG, daß die lex posterior Regel (ein später erlassenes Gesetz hebt widersprechende frühere auf) nicht auf Völkerrechtsverträge anzuwenden sei, weil nicht anzunehmen sei, daß der Gesetzgeber seine einmal eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen wolle, außer er gebe dies klar zu erkennen, wurde dahingehend abgewehrt, daß der eindeutige Wortlaut von §1705 BGB den Willen des Gesetzgebers (zur Verletzung!) unzweifelhaft dokumentiere. (Daß es sich nach dem aktuellen Stand der Dinge um Verletzung von Staatenverpflichtungen handelt, war also gar nicht strittig!) Diese Argumentation hält aber u. E. einer genaueren Analyse nicht stand.

Ein Vertrag wie die EMRK wird bei Ratifikation gemäß Art. 59 (2) des Grundgesetzes durch Zustimmungsgesetz zu innerstaatlichem Recht im Range von einfachem Bundesrecht. Das ist logisch überzeugend, denn käme ihm Verfassungsrang zu, könnte der Bundestag nicht mit einfacher Mehrheit darüber abstimmen. Das bedeutet aber, daß dieser Vertrag innerstaatlich durch später erlassene Gesetze gemäß der lex posterior Regel jederzeit verdrängt werden könnte. Das ist ein Konstruktionsfehler im Grundgesetz, denn die durch Ratifikation des Vertrages entstandene völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung und innerstaatlichen Umsetzung der EMRK kann durch spätere innerstaatliche Gesetze nicht aufgehoben werden. Dies kann nur durch eine Kündigung des Vertrages (z.B. Art. 65 EMRK) geschehen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Problem in der sogenannten Vermutungsregel angesprochen. Es ist im übrigen schon vor langer Zeit im Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen anläßlich eines deutschen Staatenberichtes diskutiert und von der deutschen Delegierten mit falschen Behauptungen aus der Diskussion geholt worden. Die sauberste Lösung wäre zweifellos, wenn Art. 59 (2) auch die lex posterior Regel für das inkorporierte Recht modifzieren und diesem Vorrang bis zur völkerrechtlich korrekten Kündigung des Vertrages einräumen würde. Der Staatsrechtler Stern kommt zum gleichen Ergebnis, indem er die Konventionen zur ex specialis erklärt. Dagegen wenden sich aber die Völkerrechtler mit anderen Argumenten etc.

Diesen Konstruktionsfehler sollte man den Schöpfern des Grundgesetzes nicht allzu übel nehmen, denn sie konnten die weitere Entwicklung gar nicht voraussehen, mußten im Gegenteil befürchten, daß Deutschland auf Jahrzehnte hinaus gar nicht Vertragspartner von multilateralen Völkerrechtsverträgen von der Art der EMRK werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls diese Lücke mit seiner Vermutungsregel gefüllt, wonach die lex posterior Regel nicht verhindert, daß Gesetze, auch später erlassene, im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen auszulegen und anzuwenden sind, da nicht anzunehmen sei, der Gesetzgeber wolle seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzen, es sei denn er habe dies klar bekundet. Diese letztgenannte Einschränkung ist wohl ein Tribut an nicht mehr zeitgemäße Vorstellungen von nationaler Souveränität, die in Hinblick auf die EU im europäischen Rahmen unzeitgemäß und völlig unangebracht sind. Verweise eines Teilnehmers in Tutzing auf die Verfassungen anderer Staaten (United Kingdom, skandinavische Staaten) sind da nicht hilfreich, weil sie nichts darüber aussagen, ob diese Staaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen ignorieren oder nicht.

Diese Vorstellung von der unantastbaren Souveränität beruht nämlich auf einer Rangordnung zwischen Souveränität und Völkerrecht, die zwar noch in weiten Teilen der Welt unbestritten sein mag (z.B. in der Volksrepublik China), aber den Keim der Zerstörung der heraufkommenden globalisierten Welt in sich trägt: in einer globalen, zivilisierten Welt kann auch die nationale Souveränität nicht länger den Grund liefern, völkervertragliche Regelungen zwischen souveränen Vertragspartnern, die in deren innerstaatliche Gesetzgebung hineinwirken, durch innerstaatliche Gesetze jederzeit wieder auszuhebeln, ohne die Möglichkeit einer Kündigung des völkerrechtlichen Vertrages wahrzunehmen. Die Vermutungsregel des BVerfG bedarf deswegen einer präziseren und weitergehenden Interpretation.

Die Möglichkeit der Kündigung etwa der EMRK hat der Bundestag nicht wahrgenommen und er will sie auch gar nicht wahrnehmen, insofern hat er es an der nötigen Willensbekundung fehlen lassen! Denn innerstaatlich bewußt gegen die nach außen eingegangenen Staatenverpflichtungen zu handeln, kann in einer zivilisierten Weltgemeinschaft kein Attribut der Souveränität sein! Das ist der Souveränitätsbegriff des 19. Jahrhunderts, in dem die innerstaatlichen Rechte des Bürgers eines Staates gar nicht Gegenstand multilateraler völkerrechtlicher Verträge waren! Gegen diesen überholten Souveränitätsbegriff hat sich 1957 der deutsche Völkerrechtler Christian Tomuschat gewendet: ,,Souveräne Entscheidungsfreiheit steht einem Lande nur insoweit zu, als es nicht einer menschenrechtlichen Bindung unterliegt."

Die schlichte Wahrheit ist doch, daß die Abgeordneten gar nicht über die Tragweite und Problematik ihrer Beschlüsse informiert waren und der Wille zur Verletzung der Konventionen allenfalls im BMJ zu suchen ist, das ganz und gar nicht legitimiert ist, die dem Parlament übertragene Verantwortung zu usurpieren oder zu manipulieren.

Überdies bedarf es in diesem Kontext gar nicht eines expliziten Willens zur Verletzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen, sondern nur der schlichten Untätigkeit des Parlamentes, weil die Rechtsprechung des EGMR in Straßburg sich evolutiv verändert und daher der Gesetzgeber zu permanenter Aufmerksamkeit verpflichtet ist, um die innerstaatliche Gesetzgebung gegebenenfalls anzupassen. Da er dies nicht tut, aber andererseits auch keinen Willen zur Kündigung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen erkennen läßt, handelt der Richter eben nicht contra legem, wenn er gemäß der Vermutungsregel die ,,Auslegung" evolutiv in Anlehnung an Straßburger Beschlüsse so weit treibt, daß es schließlich zum Widerspruch mit überholten Gesetzen kommt. Er greift damit nicht in die Gesetzgebungshoheit des Parlamentes ein, sondern beachtet nur einen in der Vermutungsregel des Bundesverfassungsgerichtes explizit formulierten Vorbehalt gegen die lex. posterior Regel unter der Prämisse, daß die ausbleibende Kündigung des völkerrechtlichen Vertrages den Willen des Gesetzgebers bekundet, seinen Verpflichtungen weiterhin nachzukommen. Vielleicht wäre der Gesetzgeber, als kollektives Organ widerstreitenden politischen Interessen unterworfen, sogar froh, wenn die Rechtsprechung es sich angelegen sein ließe, seine völkerrechtlichen Verpflichtungen umzusetzen, sofern er selbst außerstande ist, eine Umsetzung zu beschließen.

Schließlich war zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des §1705 BGB in seiner heue noch gültigen Fassung auch in Straßburg noch eine signifikant andere Haltung zu dem Problem gegeben, als das heute der Fall ist. Zu behaupten, der Gesetzgeber habe seinen Willen zur Verletzung der durch die EMRK begründeten Verpflichtungen durch die jegliche EGMR-konforme Auslegung verhindernde Formulierung dokumentiert, ist Rabulistik, denn damals konnte niemand wissen, welche Haltung Straßburg später in dieser Frage einmal einnehmen würde. Wie so oft in Deutschland triumphiert hier eine bürokratisch statische Sichtweise, die dem offenen Wesen der demokratischen Gesellschaftsordnung widerspricht.

Alles, was zu einer befriedigenden Lösung des Problemes fehlt, ist also eine korrekte Interpretation des einschränkenden Nebensatzes,,..., sofern er dies nicht klar bekundet hat,..." Diese klare Bekundung kann u. E. in der Gegenwart eben nur eine Kündigung der in Rede stehenden völkerrechtlichen Verpflichtung sein, keineswegs genügt dazu eine innerstaatlich formulierte Gesetzesnorm, die im Widerspruch zur völkerrechtlichen Verpflichtung steht. Wenn man berücksichtigt, daß die Rechtsprechung des EGMR in Straßburg sich evolutiv weiterentwickelt, um zu einer Vereinheitlichung der Auffassung und Achtung der Menschenrechte in Europa beizutragen (in der Präambel der EMRK dokumentierter Wille der vertragschließenden Parteien), bedeutet jede andere Interpretation, daß man dem Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, sich innerstaatlich aus seinen völkerrechtlich weiterbestehenden Verpflichtungen durch Untätigkeit oder innerstaatliche Gesetzgebung davonzustehlen und dem innerstaatlichen Einfluß der vom EGMR moderierten gesamteuropäischen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben.

Daß die deutsche Rechtswissenschaft sich mehrheitlich gegen solche Interpretationen sträubt, nährt den Verdacht, daß hier entweder alte, nationalistische Instinkte am Werke sind, oder die Angst, die Kontrolle über die Rechtsprechung könnte verloren gehen, wenn die Richter durch die politische Lähmung des Bundestages dazu ermuntert würden, nun selbst die Straßburger Rechtsprechung zur Richtschnur ihres Handelns zu machen.

Der von der herrschenden Meinung statt dessen verfochtene Weg sieht vor, daß in einem solchen Fall der Richter eine Vorlage beim BVerfG macht, von dem dann erwartet wird, daß es indirekt den Straßburger Beschlüssen eine verfassungsrechtliche Relevanz bescheinigt, derart, daß §1705 BGB verfassungswidrig wird. Das ist nur formal gesehen eine akzeptable Lösung. Sie ist zu komplex und zu langwierig und letztlich auch wieder der Untätigkeit des Gesetzgebers ausgeliefert. (Eine andere Norm im Kontext des Nichtehelichenrechtes ist längst vorgelegt und als verfassungswidrig erkannt worden, aber der Gesetzgeber hat nicht reagiert, was praktisch zur Rechtsverweigerung in allen anhängigen Verfahren geführt hat!)

Die innere Logik der ganzen Konstruktion ist im übrigen verworren: die EMRK steht innerstaatlich doch im Range von einfachem Bundesrecht und damit ist ihre Einhaltung nicht von verfassungsrechtlicher Relevanz. Das hat zur Konsequenz, daß die (wegen der lex posterior Regel höchst fragmentarische) innerstaatliche Gültigkeit der EMRK als einfaches Bundesrecht, u.U. im Verlauf einer Verfassungsklage oder durch eine Richtervorlage, die allenfalls indirekt auf die EMRK Bezug nehmen darf, plötzlich doch implizit verfassungsrechtliche Relevanz erhalten könnte, die dem zugrundeliegenden, in Bundesrecht inkorporierten Vertrag gar nicht zukommt. Wer die unausgesprochenen Beweggründe in nationalistischen Motiven vermutet, sieht auch gleich, warum man dies so und nicht anders haben möchte: das letzte Wort hat eben nicht die EMRK und der multinationale EGMR, sondern das deutsche Bundesverfassungsgericht, das über den Entwicklungsstand der EMRK und seine eventuellen Auswirkungen auf die Interpretation der eigenen Verfassung nach seinen eigenen Maßstäben urteilt. Die Wirkung der EMRK kann somit keinen Schritt weiter gehen, als das Bundesverfassungsgericht jeweils gerade für richtig hält, und ihre innerstaatliche Umsetzung ist in Wahrheit gar nicht durch Inkorporierung in Bundesrecht erfolgt, sondern gekoppelt worden an die aktuelle Interpretation der Verfassung des Völkerrechtssubjektes durch eine innerstaatliche Institution. Daß dies nicht im Sinne der EMRK ist, davon legt ihre Präambel beredtes Zeugnis ab. Dieser verkappte Nationalismus hat auch zu massiven Problemen bei der Umsetzung des Haager Abkommens durch die Bundesrepublik geführt, die in absehbarer Zeit zu politischen Reibereien mit Frankreich und Großbritannien, vielleicht auch mit anderen Staaten, führen werden. Wachsender Druck an der Basis in Frankreich und Anfragen im Unterhaus und Pressekampagnen in Großbritannien sind die Vorboten.

Wer sich die Mühe macht, die französische Reform vor diesem Hintergrund zu analysieren, der erkennt unschwer, warum ein in diesen Fragen nicht minder zersplittertes, traditionell streitlustiges und von anderen drängenden politischen Problemen unter Druck gesetztes Parlament in relativ kurzer Zeit eine so weitreichende Reform zustande gebracht hat. Wegen des in der Verfassung verankerten Vorranges der völkerrechtlichen Verpflichtungen vor dem innerstaatlichen Gesetz hat die französische Rechtsprechung (und beileibe nicht die gesamte!) einen immensen Druck auf das Parlament ausgeübt, indem sie den code civil einfach zunehmend übergangen hat. Dabei ging keineswegs alles juristisch mit rechten Dingen zu! Denn bei der genannten verfassungsrechtlichen Lage ist es klar, daß in Frankreich hohe formale Hürden (mindestens so hoch wie in Deutschland) gegen eine unmittelbare Anwendung von Normen aus völkerrechtlichen Verträgen aufgerichtet sind (da sonst das Chaos divergierender Interpretationen vorprogrammiert wäre). Diese Hürden sind in zum Teil juristisch bedenklicher Weise von Richtern und Richterinnen (!) beiseite gewischt worden (mit Unterstützung aus dem Lager der Rechtswissenschaft). Hätten diese Richter und Richterinnen sich dem nationalistischen Prinzip oder den abstrakten Grundsätzen der innerstaatlichen Anwendung von Normen des Völkerrechtes ebenso verpflichtet gefühlt, wie die deutsche Rechtswissenschaft ihren Prinzipien, gäbe es heute in Frankreich kein reformiertes Familienrecht. Dann könnte die französische Jurisprudenz sich zwar als prinzipienfest und frei von ,,ausländischem" Einfluß feiern, aber Hunderttausenden von französischen Kindern würde jährlich wie in Deutschland ihr Recht vorenthalten und ihrer Entwicklung irreparabler Schaden zugefügt.

Was im übrigen die Prinzipienfestigkeit der deutschen Völkerrechtler betrifft, habe ich in Tutzing eine interessante Erfahrung gemacht. Einer der in Tutzing Anwesenden erläuterte in wirklich brillantem und geschliffenem Stil (der Vortrag als solcher war ein Erlebnis) den geschilderten Standpunkt, nach welchem die Beschlüsse des AG Kamen contra legem sind, gab aber danach den Zuhörern augenzwinkernd zu verstehen, daß ja niemandem durch diese Beschlüsse ein Schaden zugefügt worden sei, also könne man sich doch beruhigen und die Sache etwas niedriger hängen. Die Logik dieser Argumentation ist für mich nicht nachvollziehbar. Sind diese Beschlüsse tatsächlich contra legem, dann fügen Sie dem Prinzip der Gewaltenteilung schweren Schaden zu (Anmaßung von gesetzgeberischer Kompetenz durch einen Richter), sie machen das Parlament lächerlich (konsequenzlose Ignorierung von dessen klar formulierter Gesetzesnorm, da keiner der Beteiligten in die Revision geht), sie verneinen die Verbindlichkeit von genau jenen Prinzipien, aus deren Anwendung die Gesetzwidrigkeit überhaupt erst gefolgert wurde, sie verletzen ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaates, daß nämlich Gleiches gleich behandelt werden muß. (Was soll man denn einem Kind und seinen nichtverheirateten Eltern empfehlen, deren Fall nicht vor dem AG Kamen verhandelt und dort ,,contra legem" entschieden wird?)

Da ziehe ich für meine Person die Situation in Frankreich vor, wo Teile der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung die dort relevanten Prinzipien teilweise überdehnt oder neu interpretiert haben, um den Gesetzgeber zu zwingen, das zu tun, wozu er verpflichtet ist: seine Staatenverpflichtungen in innerstaatliches Recht umsetzen, so daß heute wieder gleichmäßig nach innerstaatlichem code civil entschieden werden kann, ohne die Konventionen in flagranter Weise zu verletzen! Man kann sagen, daß das in Frankreich zeitweise nach Ratifikation der KRK ausgebrochene Rechtsprechungschaos kreativ und heilsam gewirkt hat, weil es den Gestezgeber gezwungen hat, schnell und nicht nur oberflächlich zu handeln, da Scheinreformen von der Rechtsprechung sogleich wieder kurzgeschlossen worden wären. Daß wir hier in Deutschland, wenn überhaupt, nur eine Scheinreform bekommen werden, ist schon absehbar, weil die Haltung der deutschen Rechtswissenschaft (vielleicht unbeabsichtigt, aber faktisch) den Gesetzgeber in seiner intransigenten Haltung absichert, anstatt ihn, wie in Frankreich geschehen, zum völkerrechtskonformen Handeln zu zwingen. Ich verweise hier auf unser Info 10/96, das über das Verhalten des Bundesjustizministers anläßlich einer öffentlichen Fragestunde in Mannheim berichtet. (Er ist Staatsrechtler an der Universität Kiel!)

So kompetent und persönlich integer die Proponenten der herrschenden Meinung auch sind, sie vernachlässigen ein skandalöses Faktum, nämlich die Untätigkeit des Parlamentes, bzw. akzeptieren es als eine von der Verfassung geschützte Prärogative des Parlamentes, womit sie die (im Grundgesetz verankerte) Idee der weltweit (oder zumindest doch in Europa) geltenden Menschenrechte in gefährlicher Weise relativieren! Der EGMR in Straßburg kann aus ganz praktischen Gründen kein Regulativ für dieses Problem sein, wenn man bedenkt, welche gewaltige Aufgabe mit der Integration der osteuropäischen Staaten auf das Gericht zukommt. Auch die zum Teil geradezu hysterische Reaktion auf das die Quotenregelung betreffende Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zeigt, daß nicht einmal innerstaatlich verbindliches europäisches Gemeinschaftsrecht respektiert wird, wenn es gewissen pressure groups nicht in den Kram paßt! Dabei haben das europäische Gemeinschaftsrecht und die EU-lnstitutionen mehr für das legitime Anliegen getan, das diese pressure groups angeblich vertreten, als die innerstaatlichen Institutionen. Kaum weist man sie einmal in ihre Schranken, da ist das alles vergessen und die wohlbekannten, gebetsmühlenhaften Formeln und Beschimpfungen ergiessen sich auch über den Europäischen Gerichtshof!

Aber auch in der deutschen Rechtswissenschaft mehren sich die Stimmen, die nach einem Ausweg aus diesen inneren Widersprüchen der herrschenden Meinung suchen. Einer der in Tutzing Anwesenden bezeichnete auf einer späteren Tagung, die Herr A. Schneider für VfK besucht hat, die Kamener Urteile nicht als contra legem, sondern sprach von ,,exotischen" Urteilen, was ich nur als eine vorsichtige Distanzierung, weniger von der herrschenden Theorie, sondern eher von ihren unerquicklichen Konsequenzen angesichts der Haltung des Gesetzgebers verstehen kann. Die Jurisprudenz ist keine Naturwissenschaft, die ihre Theorien an der Natur messen und verifizieren muß. Sie ist aber eine Wissenschaft, die der Rationalität und seit dem Bestehen der Bundesrepublik auch den Wertmaßstäben der Menschenrechte verpflichtet ist. Die sogenannte herrschende Meinung in der Jurisprudenz ist das Gedankenprodukt einer jeweils existierenden Mehrheit von Rechtswissenschaftlern und Rechtsprechenden. Wenn diese Mehrheit zu dem Schluß kommt, daß die herrschende Meinung einen bestimmten Zustand deckt, der ihrer Meinung nach zu unhaltbaren Konsequenzen führt, dann steht es ihr frei, ihre bisher akzeptierte Theorie zu verändern, um die unerwünschten Konsequenzen zu verhindern. Wie oben ausgeführt, bietet die Vermutungsregel des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG 74 385(370)) eine hinreichende Handhabe dafür. Tut sie dies aber nicht, wird sie in Zukunft sich den Fragen der jüngeren Generationen nach ihrer Verantwortung für das Geschehen stellen müssen! Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß die deutsche Rechtswissenschaft, anders als die französische, den Kindern nicht den sowohl objektiv, als auch emotional gebührenden Stellenwert einräumt, der formaljuristische und letztlich auch nationalistisch motivierte Bedenken zur Bedeutungslosigkeit mindern sollte.

Zum Abschluß möchte ich H.-D. Genscher zitieren: ,,Eine glaubwürdige Menschenrechtspolltik muß sich allen Aspekten zuwenden. Sie darf sich nicht auf einzelne wie etwa die Freizügigkeit beschränken." Dem ist nichts hinzuzufügen.

*§ 1705 [Sorgerecht der Mutter] ist durch das KindRG vom 1.7.1998 aufgehoben. Er lautete:

Das nichteheliche Kind steht, solange es minderjährig ist, unter der elterlichen Sorge der Mutter. Die Vorschriften über die elterliche Sorge für eheliche Kinder gelten im Verhältnis zwischen dem nichtehelichen Kinde und seiner Mutter entsprechend, soweit sich nicht aus den Vorschriften dieses Titels ein anderes ergibt.
Aber auch jetzt gilt noch, daß eine gemeinsame elterliche Sorge nur durch eine gemeinsame Sorgerklärung oder spätere Heirat zustandekommt, im übrigen aber die elterliche Sorge bei der Mutter liegt,. § 1626a n.F.

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