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KIND - FAMILIE - MENSCHENRECHTE

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                                 Väter für Kinder e.V.
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Nummer 8/96
verantwortlich i. S. d. P.: Prof. Dr. M. Reeken / Vorsitzender

Tagungsbericht:

 

Ein Kind hat das Recht auf beide Eltern

- Konferenz zur Praxis des Sorgerechts im europäischen Vergleich -

Freiburg i. Br. 4.- 6. September 1996

Veranstalter dieser Tagung waren das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium der Justiz, der deutsche Zweig des Internationalen Sozialdienstes in Frankfurt am Main, der Deutsche Familiengerichtstag, Brühl, die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienkrisen, Trennung und Scheidung, Freiburg, und die Psychosoziale Beratungsstelle in Familienkrisen, Freiburg. Gekommen waren rund 300 Teilnehmer: Richter, Rechtsanwälte, Psychologen, Sozialarbeiter, Betroffene und - zum Tagungsschluß Scheidungskinder.

Siegfried Willutzki, Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages, der in die Tagung eingeführt hatte, räumte im persönlichen Gespräch ein, daß Deutschland auch nach der anstehenden Kindschaftsrechtsreform noch das Schlußlicht im europäischen Vergleich sein werde. Wie sehr diese Einschätzung zutrifft, zeigten die Länderbeiträge, über die wir schlaglichtartig berichten.

Rechtsanwalt Jürgen Rieck aus München sprach über Sorge- und Umgangsprobleme im grenzüberschreitenden Bereich. Er wies auf den beschränkten Einfluß hin, den Gesetze in Kindschaftssachen haben. "Gesetze können nicht mehr als das, was die Eltern können", war eine seiner Aussagen, aber die Eltern sollen sich nach der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers ausgerechnet dann auf einen einvernehmlichen Vorschlag zum Sorge- und Umgangsrecht verständigen, wenn sie im laufenden Scheidungsverfahren zerstritten sind. Wie kann man es schaffen, den Kindern beide Eitern zu erhalten, wenn einer von ihnen mit den Kindern ins Ausland verzogen ist? Rieck führte dazu ein schon älteres französisches Urteil an. Die Mutter lebte mit dem Kind in Frankreich, der Vater in Deutschland. Und so entschied das Gericht: Da Wochenendbesuche wegen der großen Entfernung nicht möglich sind, erhält der Vater das Recht, das Kind in den Ferien zu sich zu nehmen, und zwar nicht etwa die Hälfte der Ferien, sondern in der gesamten Zeit. Ein solches Urteil kann man sich in Deutschland kaum vorstellen! Dabei ist es unerheblich, ob die Entfernung Paris - München oder München - Hamburg ist. In beiden Fällen verbieten Reisezeit und Kosten dem Umgangsberechtigten häufige Besuche.

Ähnlich wird in der Türkei verfahren. Wenn große Entfernung zwischen den getrennten Eltern die Kontakte zum Kind erschwert, wird mindestens ein Monat zusammenhängender Umgang vom Gericht verordnet, wie Rechtsanwalt Mehmet Köksal aus Istanbul ausführte. Das Umgangsrecht des Nichtsorgeberechtigten muß vom Richter geregelt werden, es wird also nicht nur auf Antrag verhandelt. Der Umgang darf nicht unter Aufsicht von Dritten stattfinden. Auch Großeltern haben ein Umgangsrecht. Umgangsverweigerung durch den Sorgeberechtigten ist ein Grund für Sorgerechtsänderung. Eine zentrale Aussage war, daß bei der Festlegung des Umgangsrechts auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Umgangsberechtigten und seines Kindes Wert gelegt wird. In einem solchen Verständnis sind Gerichte und Sozialbehörden nicht Vollstrecker, sondern Dienstleister. Diese Art des Denkens ist den deutschen Behörden bisher fremd.

Gemeinsame elterliche Sorge ist nach türkischem Recht möglich, wird aber bisher nicht praktiziert. Das Sorgerecht des nichtehelichen Kindes steht nicht wie in Deutschland der Mutter zu, sondern niemandem solange keine gerichtliche Regelung getroffen ist. Kleinkinder werden in der Rege! der Mutter zugesprochen. Auch nichteheliche Kinder haben ein Umgangsrecht.

Miroslava Gec-Korosec, Juristin Universität Maribor, berichtete über die Verhältnisse in Slowenien. Hier verlangt das
Gericht zum Sorge- und Umgangsrecht einen einvernehmlichen Elternvorschlag. Einigen sich die Eltern nicht, wird das
Zentrum für Sozialsorge mit der Vermittlung beauftragt. Erst wenn auch diese Vermittlung scheitert, entscheidet das Gericht.
Hier ist also verwirklicht, was bei uns als "Anwalt des. Kindes'' vielfach gefordert worden ist - die Einschaltung einer
neutralen Stelle, die sich außergerichtlich um einvernehmliche Lösungen im Sinne des Kindeswohls bemüht. Leider hat ein
Anwalt des Kindes in den Reformentwurf zum Kindschaftsrecht keinen Eingang gefunden.

Das Umgangsrecht ist als Recht der Eltern und des Kindes definiert. Umgangsvereitelung ist Straftatbestand. Geldstrafen drohen dem sorgeberechtigten Elternteil auch dann, wenn das Kind den Umgang mit dem anderen Elternteil ablehnt. Die Ursache wird nämlich im Einfluß des Sorgeberechtigten gesehen, und es gehört zu seinen elterlichen Pflichten, das Kind auf die Kontakte zum anderen Elternteil vorzubereiten.

In Italien hat nach den Ausführungen von Marco Buchard, Richter in Turin, der Nichtsorgeberechtigte das Recht, bei
wesentlichen Entscheidungen im Leben des Kindes mitzubestimmen. Darunter werden Fragen der Bildung, Erziehung
und der Lebensbedingungen des Kindes verstanden. Das Mitspracherecht gilt auch für Väter nichtehelicher Kinder, die das
Kind anerkannt haben. Seit der letzten Reform des Familienrechts 1987 können die Gerichte die gemeinsame Sorge für
Eltern ehelicher und nichtehelicher Kinder festlegen, sie können auch abwechselnde Sorge bestimmen. Für nichteheliche Kinder besteht kein Unterhaltsanspruch.

Großbritannien hat, wie Peter Jeffries vom Probation- Service in London mitteilte, mit den letzten Kindschaftsrechtsreformen (Children Act, 1989; Child Support Act, 1991; Family Law Act, 1996) zwei Prinzipien eingeführt: das der Elternpflichten statt - rechte und das der Nichteinmischung. Letzteres geht von der Überzeugung aus, daß Eltern am besten wissen, was für ihre Kinder gut ist. Deswegen werden gerichtliche Anordnungen nur dann getroffen, wenn sich die Eltern nicht einigen können. Zur Förderung einvernehmlicher Lösungen haben Eltern das Recht, die Mediation in
Anspruch zu nehmen.

Nirgends scheint die gemeinsame elterliche Sorge durchgängiger verwirklicht zu sein als in Schweden. 82% der getrennten
Eltern entscheiden sich dafür. Agneta Björklund, gelernte Sozialarbeiterin und heute im Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten in Stockholm tätig, erläuterte, daß Vermittlungsgespräche, die den Eltern angeboten werden, meistens zu einer Einigung führen, obwohl wie in Deutschland kein gemeinsames Sorgerecht angeordnet wird, wenn ein Elternteil widerspricht. Die Politik ist darauf ausgerichtet, die Verantwortung bei beiden Eltern zu belassen. Umgangsbehinderung des getrennt lebenden Elternteils ist Grund für eine Sorgerechtsänderung. Seit Einführung dieser Rechtsprechung haben die Kontakte der Trennungs- und Scheidungskinder zum getrennt lebenden Elternteil erheblich zugenommen.

Jan Piet de Man, Mediator und Kinderpsychologe aus Edegem in Belgien, betonte, daß Kontakte zum Vater entscheidend für das Wohlbefinden und Selbstvertrauen der Kinder sind. Die Dauer der Kontakte ist wichtiger als ihre Häufigkeit. Das Fehlen von gesetzlichen Möglichkeiten der Mitbestimmung von Eltern in der Sorge für ihre Kinder wirkt sich negativ auf die Erhaltung der Eltern- Kind- Kontakte aus.

Zum Schluß der Tagung kamen unter der behutsamen Gesprächsleitung des Wiener Psychoanalytikers Helmuth Figdor Scheidungskinder selbst zu Wort. Was haben sie für Vorstellungen? Sie wollen ihren Freundeskreis behalten, d.h. einen Ortswechsel vermeiden. Sie erinnerten daran, daß das Umgangsrecht manchmal auch ihnen Opfer abverlangt, weil sie in der Zeit nichts anderes machen können. Problematisch fanden sie deswegen die Starrheit gerichtlicher Umgangsregelungen, die für spontane Entscheidungen wenig Spielraum lassen. Sie kritisierten also, daß ihnen selbst zu wenig Selbstbestimmung bliebe. Skeptisch waren die Kinder der gemeinsamen elterlichen Sorge gegenüber eingestellt. Wo die Eltern es schafften, gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen, bräuchte es die gerichtliche Entscheidung nicht, und wo sie es nicht schafften könne daran auch ein Richterspruch nichts ändern. Schließlich meinten sie, daß die Kinder- und Jugendberatungsstellen zu wenig in Anspruch genommen würden. Da, wo sie sich den halben Tag aufhielten, nämlich in der Schule, gebe es keine Beratung. Und noch etwas: Sie wollen nicht als Scheidungskinder gelten, sondern ganz normale Kinder sein.

Dr. A. Schneider
Anmerkung 1997: Die Beiträge sind als Buch unter dem gleichen Titel beim Luchterhand Verlag, Neuwied erschienen.
Herausgeber: Christa Brauns-Hermann, Bernd Michael Busch, Hartmut Dinse.
ISBN 3-472-03000-3, ca 300 Seiten, kartoniert, DM 24,80 (1997).
 

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