Auf der Tagung
der American Psychiatric Association (APA), 18-22. Mai, 2013,
wurde das neue Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders (DSM-5) vorgestellt. Mit dieser Neufassung war zunächst bei
manchen die Hoffnung verbunden, dass Eltern-Kind-Entfremdung (Parental
Alienation) darin Aufnahme finden könnte. Dieser Wunsch bestand schon
seit der amerikanische Psychiater Richard Gardner (verstorben 2003) mit
Parental
Alienation Syndrome
(PAS) Verhaltensmuster beschrieb, die er häufig als
Sachverständiger
bei Trennung / Scheidung beobachtete (1985). Allerdings waren seine
Formulierungen teilweise auf heftige Kritik gestoßen, die selbst vor
seiner Person nicht halt machte und die bis heute anhält. Obwohl
auch häufig das
Fehlen von Einträgen in DSM-IV (erschienen 1994) als Argument gegen die
Existenz von PAS benutzt wurde, bildlete sich sobald die
Vorbereitungen zu DSM-5 begonnen hatten rasch eine Opposition
gegen
die Aufnahme von Parental Alienation in DSM-5. Gleichzeitig begannen
von
Entfremdung von ihren Kindern Betroffene das DSM-5 Komitee regelrecht
mit ihren Leidensgeschichten zu bombardieren. Beides schien mehr einem
politischen Plebiszit zu gleichen als einer sachlichen Arbeit
förderlich zu sein auf der allein zu beruhen dieses
Klassifizierungsschema selbstverständlich Anspruch erhebt, obwohl es
auch in der jetzigen Neufassung vom Prinzip her und wegen
einzelner Einträge ebenfalls nicht umumstritten ist. Das PAS darin
nicht explizit als eine eigene Diagnose (psychiatrische
Erkrankung) Aufnahme finden würde, was sicher auch die Kritik an
DSM-5 weiter intensiviert hätte, zeichnete sich schon vor 2-3
Jahren ab und nicht erst in der Internet Meldung vom Dezember
2012 auf die sich
J. M. Fegert
in "
Endgültiges
Aus für das Parental Alienation Syndrome (PAS) im amerikanischen
Klassifikationssystem DSM-5"
in der Zeitschrift ZKJ Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 5, Mai 15,
2013, bezieht. Fegert sieht sich darin in seiner polemisch/kritischen
Darstellung aus 2001
,,Parental Alienation oder Parental
Accusation Syndrome?"
bestätigt. Anlass zum Jubel bei den PAS Gegnern / Kritikern
(die amerikanische Bezeichnung "PAS detractor" ist vielschichtiger)
besteht aber nicht und schon gar nicht bedeutet es, dass
dieses Phänomen eines Kontaktabbruchs und Ablehnung eines Elternteils
zum dem vor der Trennung oder Scheidung wenigstens eine normale
Beziehung bestand nicht existiert und nicht nur bei vielen Eltern einen
hohen Leidensdruck erzeugt, sondern auch die Familiengerichte intensiv
beschäftigt, und das natürlich auch immer noch in Deutschland, selbst
wenn die Bezeichnung "PAS" nicht benützt wird. Auf die
Bezeichnung und die viel diskutierte Frage, ob es sich dabei um
ein Syndrom im medizinischen Sinne handelt, kommt es dabei überhaupt
nicht an. Die Bezeichnung "Parental Alienation" hat sich nun aber
einmal weltweit eingebürgert und mit ihr als Stichwort eröffnet sich
nicht nur eine schon sehr umfangreiche
wissenschaftliche
Literatur, sondern werden auch viele relevante familiengerichtliche
Entscheidungen zugänglich. Vgl. dazu das neue Handbuch
"Parental Alienation:
The Handbook for Mental Health and Legal Professionals"
hrsg. von Lorandos, Bernet & Sauber, Charles C Thomas •
Publisher, LTD (erscheint Dezember 2013 oder Jan.2014).
Der Psychiater William Bernet
(Vanderbilt University, USA), einer der namhaftetsten Befürworter eines
Eintrags zu Parental Alienation (PA) in DSM-5 (
Bernet, 2010) spricht
sogar in seiner ersten Reaktion von einer wesentlichen Verbesserung
gegenüber DSM-IV bei der Berücksichtigung dieses Phänomens und seiner
Ursachen. Obwohl darin die Bezeichnung "Parental Alienation"
nicht vorkommt gäbe es jetzt mehrere Diagnosen die von einem Arzt in
solchen Fällen verwendet werden könnten. Er führt an
(unveröffentlicht):
- Parent-child relational problem
(Eltern-Kind-Beziehungsproblem)
wird
jetzt diskutiert, statt wie in DSM-IV nur als Bezeichnung zu
erscheinen. Es wird erklärt, dass kognitive Probleme dabei ein
negatives Bild der Absichten des anderen, Feindschaft, oder den
anderen zum Sündenbock zu machen einschließen können.
- Child psychological abuse (Psychologische
Kindesmisshandlung) ist
eine neue Diagnose in DSM-5. Sie ist definiert als " nicht
versehentliche verbale oder symbolische Akte eines Elternteils oder
Betreuers die in signifikanter psychologischer Beeinträchtigung des
Kindes resultieren, oder das Potential dazu haben."
- Child affected by parental relationship
distress (Kind betroffen von elterlichen Beziehungsproblemen)
ist eine ebenfalls neue Diagnose in DSM-5. Sie soll verwendet werden
"wenn der Fokus der klinischen Aufmerksamkeit die negativen Effekte des
elterlichen Konflikts (z. B. hohes Konfliktniveau,
Verzweiflung oder Verunglimpfung) auf ein Kind sind, einschließlich der
Effekte auf psyschische oder physische Erkrankungen des Kindes.
- Factitious disorder imposed on another
(Vorgetäuschte psychologische Störung jemandem anderen
aufgedrängt)
ist die DSM-5 Terminologie für eine vorgetäuschte Störung oder das
Münchhausen Syndrom. Sie ist definiert als "Fälschung von physischen
oder psychischen Symptomen, oder die Verursachung von Verletzungen oder
Krankheit in jemand anderen, verbunden mit identifizierbarer
Täuschung."
- Delusional
symptoms in partner of individual with delusional disorder (Wahnhafte
Symptome in einem Partner eines Individuums mit wahnhaften
psychologischen Störungen) ist die DSM-5 Bezeichnung für eine
gemeinsame
psychotische Störung oder Folie a deux. Die Definition ist
"Im Rahmen einer Beziehung verursachen die wahnhaften Vorstellungen des
dominierenden Partners Inhalt für wahnhafte Vorstellungen in einer
Person die sonst nicht die Kriterien für Wahnvorstellungen ganz
erfüllen würde."
Die beiden neuen Diagnosen, "Psychologische
Kindesmisshandlung" und "Kind betroffen von elterlichen
Beziehungsproblemen" stellen eine deutliche Verbesserung hinsichtlich
der Berücksichtigung von Parental Alienation gegenüber der letzten
Version DSM-IV TR dar. Insbesondere
"Kind
betroffen von elterlichen
Beziehungsproblemen",
obwohl ebenfalls breiter gefasst, passt nach Meinung von Fachleuten
(einschließlich Mitgliedern des verantwortlichen DSM-5 Komitees!)
hervorragend auf Parental Alienation.
Wir meinen dazu, dass sich wie bei jedem Klassifizierungssystem immer
die Frage stellt, ob ein
bestimmter Sachverhalt einer eigenen Kategorie bedart, oder ob er
eventuell
durch mehrere andere ausreichend beschrieben ist. Ein eigener Eintrag
und eine Definition von PA die möglicherweise weitere heftige
Kontroversen verursachen würde, hätte der Sache eher
geschadet. Es ist nur schade, dass man nicht den Mut hatte den Begriff
"Parental Alienation" wenigstens als bloße Bezeichnung für bekannte
problematische Verhaltensmuster in der Eltern-Kind-Beziehung zu
erwähnen, die sich nun einmal weltweit eingebürgert hat, ob man sie nun
mag oder oder nicht, und ohne damit auch schon bestimmte Theorien zu
ihrer Erklärung zu verbinden. Das hätte als Stichwort dienen können um
Psychiater (Ärzte) auf eine inzwischen sehr
umfangreiche
wissenschaftliche Literatur aufmerksam zu machen, die allerdings
vorwiegend von Psychologen stammt und bei der Mediziner bisher noch
deutlich unterrepräsentiert sind, obwohl speziell Kinderärzte /
Kinderpsychiater oft erste Anlaufstellen bei Verhaltensauffälligkeiten
von "Scheidungskindern" sind. Genau dieser Punkt wurde
erfreulicherweise in einem Leitfaden für bayerische Ärztinnen und Ärzte
"Gewalt
gegen Kinder und Jugendliche. Erkennen und Handeln" berücksichtigt
.
Auf
Seite 111 wird auf Sonderformen seelischer Kindesmisshandlung
hingewiesen mit einem Fallbeispiel für das Parental Alienation
Syndrome. Wir berichteten darüber (17.7.2012). Wie notwendig ein
solcher Leitfaden und die Kenntnis des PA Phänomens sind zeigt auch die
Tatsache dass in Entfremdungsfällen nicht selten versucht wird,
Ärztinnen und Ärzte für Atteste zu gewinnen, die bestätigen sollen,
dass der Umgang mit dem anderen Elternteil dem Kind schadet.
Vgl.
Walter Andritzky, Zur Problematik kinderärztlicher Atteste bei
Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten. Mit Ergebnissen einer
Befragung. Kinder- und Jugendarzt 2002, 33: 885–889; A. Camps,
Psychiatrische und psychosomatische Konsequenzen für PAS-Kinder, in von
Boch-Galhau, Kodjoe, Andritzky und Koeppel Das
Parental Alienation Syndrome, 2002, S.143-155; Andritzky in Gardner,
Sauber, Lorandos, The International Handbook of Parental Alienation
Syndrome, 2006, Seiten 195-208.
Hier ist ein solches
Attest
eines Kinderarztes,
das sogar ohne jemals Kontakt zum ausgegrenzten Vater gehabt zu haben
erstellt wurde, aber zu dem dennoch von der Ärztekammer damals (1998)
eine Beanstandung zurückgewiesen wurde.
Hier ist nicht der geeignete Platz um auf weitere Details des
amerikanischen Klassifizierungssystems DSM-5 einzugehen oder eine
weitere Diskussion dazu zu führen, die in erster Linie medizinischen
Fachleuten (in den USA) an die sich DSM-5 ja primär richtet,
vorbehalten sein sollte. Es ist dazu nur anzumerken, dass konstruktive
Kritik, wie in allen Disziplinen, ganz wesentlich für den Fortschritt
einer Wissenschaft ist. Zum Fortschritt einer Wissenschaft
gehören auch empirische Untersuchungen die erlauben Hypothesen zu
verifizieren oder auch zu falsizieren (sie dürfen nicht tautologisch
wahr sein). Hätten solche empirische Untersuchungen bei PA von Anfang
an mehr im Vordergrund gestanden wären vermutlich viele der
Kontroversen um PA ausgeblieben, wobei allerdings zu sagen ist, dass PA
in erster Linie bei Trennung oder Scheidung auftritt, die häufig selbst
hoch konflikthaft ist. Außerdem gibt es dabei Einschränkungen, was die
Kinder betrifft, aus moralischen und rechtlichen Gründen.
Untersuchungen, mit ausreichernd großen statistisch relevanten Gruppen
und vor allen Langzeitstudien übersteigen auch leich die Möglichkeiten
von
praktisch tätigen Klinikern (die allerdings wertvolle erste Hinweise
und Anregungen liefern können) und würden den Einsatz von
Forschungsinstituten und universitärer Einrichtungen erfordern. Gerade
daran mangelt es noch, ganz besonders in Deutschland, wo auch
Fortbildungsveranstaltungen und wissenschaftliche Fachliteratur zu PA
weitgehend fehlen, vor allem auch international anerkannte
Fachliteratur die vor Veröffentlichung einer strengen Prüfung durch
renommierte Fachkollegen unterzogen wurde (peer review) und die allein
in der weltweit größten psychologischen Datenbank, PsycInfo der
American
Psychological Association, Berücksichtigung findet, mit derzeit über
200 Einträgen zum Stichwort "Parental Alienation". Darin ist allerdings
nur eine einzige deutsche Publikation (weil mit peer review) enthalten.
Was bedeutet nun die
Entscheidung der Amerikanischen Psychiatrischen Geselschaft für von
Eltern-Kind-Entfremdung betroffene Eltern und Kinder, und vor allem in
Deutschland?. Das ist die Frage, die uns an dieser Stelle primär
interessiert. Zunächst bedeutet sie direkt gar nichts, weil sie sich
ausschließlich an amerikanische Ärzte richtet, denen DSM auch zur
Abrechnung ihrer Leistungen und zu statistischen Erhebungen dient. DSM
ist ein Klassifizierungschema, ähnlich wie es beispielsweise auch in
großen Bibliotheken zur Übersichlichkeit nötig ist. Es ist kein
wissenschaftliches Handbuch oder ein medizinisches Lehrbuch aus dem man
die Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen erlernen könnte, obwohl ein
Eintrag in DSM natürlich bedeutet, dass unter Ärzten ein gewisser
Konsensus über ein Krankheitsbild und seine Bezeichnung besteht.
Betroffene Eltern erwarten aber in erster Linie praktische Hilfe bei
der Überwindung ihrer Ausgrenzung vom eigenen Kind und sind nicht daran
interessiert, dass sie selbst oder ihr Kind (und zumeist auch nicht
dass der andere Elternteil) mit einer psychiatrischen Diagnose versehen
werden, obwohl es gut sein kann, dass die enorme Belastung durch den
Konflikt mit Depression etc. verbunden ist die behandlungsbedürftig
ist, bei betroffenen Kindern nicht selten auch noch im
Erwachsenenalter,
lange nach dem Trennungs / Scheidungsgeschehen. Zunächst hilft es
Betroffenen
sogar schon zu erfahren, dass das was sie erleben gar nicht so einmalig
ist wie es schien und einen weltweit verbreiteten Namen hat. Deshalb
schließen sich solche Eltern auch oft in Selbsthilfegruppen zusammen
und manchmal auch betroffene Kinder als Erwachsene, um Erfahrungen
auszutauschen.
Eine praktische Hilfe muss bei PA in den allermeisten Fällen allerdings
zunächst im Rahmen des Kindschaftsrechts und dem Gang zum
Familiengericht gesucht werden, weil es an der Gesprächsbereitschaft
zwischen den Eltern und der Einsichtsfähigkeit insbesondere des
entfremdenden Elternteils fehlt. Es braucht deshalb klare richterliche
Anordnungen, die auch mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln wenn
nötig durchgesetzt werden sollten um das Recht des Kindes und jeden
Elternteils auf regelmässigen Umgang miteinander wieder herzustellen,
vorausgesetzt dass dieser Umgang dem Kindeswohl dient und nicht aus
wirklich berechtigten Gründen (Misshandlung des Kindes, gravierende
Mängel bei
der Erziehungsfähigkeit des betreffenden Elternteils etc) auf Zeit
unterbleiben
sollte. (In den letzteren Fällen ist auch nach allgemeinem Konsensus
der Begriff PA nicht anwendbar.) Das Gericht, aber zumindest die
es unterstützenden Sachverständigen sollten dabei in der Lage sein die
psychologischen Zusammenhänge bei Eltern-Kind-Entfremdung zu erkennen,
insbesondere auch ob die Aussagen eines Kindes den Tatsachen
entsprechen oder wesentlich von einem entfremdenden Elternteil
beeinflusst wurden. Was ein deutsches Gericht dabei nach Fegert (2013)
aus der amerikanischen DSM Entscheidung zur Kenntnis nehmen sollte und
welche Konsequenzen es daraus ziehen sollte bleibt unspezifiziert,
obwohl sicher mit seinem Fazit, weil nicht neu und längst
selbstverständlich, übereingestimmt werden
kann,
"dass jeder Einzelfall in dem
elterliche Beeinflussung als Faktor ins Spiel gebracht wird, im Rahmen
der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs Kindeswohl mit den
üblichen Kriterien der Entwicklungspsychologie und der Psychopathologie
der Erwachsenen überprüft werden muss".
Das neue DSM-5 liefert für diese Diagnostik eine erweiterte und
wesentlich verbesserte standardisierte Kategorisierung. Auf die
Bezeichnung PAS
oder auf die unselige Frage ob PAS nun ein anerkanntes Syndrom im
medizinischen Sinne ist oder nicht, auf die viele völlig fruchtlose
Debatten verschwendet wurden, kommt es dabei ganz bestimmt nicht an.
Der
spanische Familienrichter Ángel Luis Campo formulierte dies (2011) sehr
treffend mit:
"Richter
müssen nicht über die Angebrachtheit des Begriffs Parental Alienation
entscheiden, sondern darüber was dahinter steckt. Es kann kaum ein
Zweifel darüber bestehen, dass es Eltern gibt die ihr Kind dazu
manipulieren den Kontakt mit den anderen Elternteil abzulehnen und
Richter müssen entsprechend handeln".
Ein anderer spanischer Familienrichter, Francisco Serrano Castro, sagte
die
Verleugnung der Wirklichkeit von Parental Alientation, weil es nicht in
DSM aufgeführt ist, entspricht der Behauptung es gäbe keine
misshandelte Frauen, weil das "battered wife syndrome" nicht in DSM
ist. Er sei mehr dazu geneigt sich an der Rechtssprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bzgl. der Anerkennung von
PA zu orientieren als an den Aussagen irgendwelcher offiziellen Stellen.
[Es gibt inzwischen mindestens 8 Urteile dieses hohen
internationalen Gerichtshofes in dem sich dieser selbst dem Konzept von
PA entsprechende Argumente explizit (unter Nernnung der Bezeichnung
Parental Alienation oder Parental Alienation Syndrome) bei der
Urteilsbegründung zu eigen macht, und PA nicht nur in den Anträgen der
Beschwerdeführer oder in Urteilen eines nationalen Gerichts erwähnt
ist. Sie stellen damit eine klare Anerkennung von PA dar.]
Es mag amüsieren, dass wie die überregionale spanische Zeitung El Pais
in 2011 berichtete, dass
gerade ein solcher Vertreter offizieller Stellen, Miguel Lorente,
Koordinator der Institute
für forensiche Medizin in Andalusien und Autor über das "battered wife
syndrome" behauptete:
"Sicher
gibt
es Mütter, aber auch Väter die zur Ablehnung des anderen Elternteils
aufhetzen, aber wenn die Beziehung zum Kind gesund und intensiv ist
wird sie nicht unterbrochen werden." Er fügte noch hinzu "Wenn
ein Kind einen Elternteil ablehnt, dann ist es weil dieser Elternteil
gewalttätig und aggressiv ist. Damit stimmen viele Experten
überein."
Und schließlich noch ein Zitat vom Dekan der
Psychologen Madrids, Fernando Chacon (2008), das auch sehr gut auf die
deutsche Debatte zu PAS passt [Die Zitate stammen aus Kapitel 13
von C. T. Dum über internationale Entwicklungen zu PAS, einschließlich
der in Deutschland, in einem neuen
Handbuch (Dezember 2013) zu PA):
Die Kontroverse um Parental Alienation
ist völlig steril. Sie wird von Interessengruppen gefüttert, wird durch
Disqualifikationen ausgeführt und ist ohne jedes wissenschaftliche
Argument. Der Schlüssel für Psychologen zu fragen ist, ob es Väter oder
Mütter gibt die ihre Kinder dazu manipulieren gegen den anderen
Elternteil eingestellt zu sein und schließlich den Kontakt zu
verweigern und ob das negative Auswirkungen auf das Kindeswohl hat.
Wenn die Antwort "Ja" lautet dann mag man die Notwendigkeit in Betracht
ziehen solche Fälle, die in einer gewissen Weise gemeinsame
Charakteristiken zeigen zu bezeichnen. Wie könnten sie "X"
nennen. Sich auf einen bestimmten Namen fest zu legen oder auch
nicht, ändert jedoch nichts an der Realität individueller Fälle, die
unsere primäre Beachtung haben.
PAS wird von manchen Gruppen heftigst
abgelehnt, weil sie es als Anschuldigungstaktik von Vätern gegen Mütter
sehen, womit sie häusliche Gewalt und Missbrauch verschleiern wollen,
oder als "Parental Accusation Syndrome", wie es
Fegert (2001)
formulierte. Ähnlich auch
Jörg Fichtner, Unter falscher Flagge. Die ganz neue Väterlichkeit durch Mutterdenunziation.
In: Andrea Geier und Ursula Kocher (Hrsg.):
Wider die Frau: Zu
Geschichte und Funktion misogyner Rede. Böhlau, Köln 2008, ISBN
978-3-412-15304-5, S. 207–228.
Beweise an Hand von konkreten Fällen, insbesondere dafür,
dass damit letztlich auch die Familiengerichte getäuscht wurden,
bleiben sie allerdings schuldig. Sie übersehen auch sehr gerne, dass es
mit der zunehmenden Zahl von Vätern als Wohnelternteil immer mehr von
Umgangsvereitelung und Entfremdung betroffene Mütter gibt, die sogar
besonders darunter leiden, weil die Gesellschaft immer noch überwiegend
davon ausgeht, dass Kinder nach einer Trennung oder Scheidung
"normalerweise zur Mutter gehören." Vgl. dazu die die kanadische Studie
von
Kruk
(2010)
und den zunehmenden Umfang von Vereinigungen von Ausgrenzung
betroffener Mütter und Großeltern. Gardner und die anderen PAS Pioniere
hätten von Anfang an deutlicher die Tatsache betonen sollen, dass PAS
nicht eine Frage des Geschlechts ist, sondern eine der Macht das Kind
zu beeinflussen, die in erster Linie der Wohnelternteil besitzt.
Formulierungen wie "Medea Syndrome" der berühmten Scheidungsforscherin
Judith Wallerstein für das gleiche Phänomen hatten allerdings keine
solche Kontroversen ausgelöst. In der deutschen Literatur beschrieb
übrigens schon Theodor Fontane in seinem berühmten Roman Effi
Briest (1896) die Entfremdung verursacht durch einen Vater, dem
ja zu dieser Zeit die "elterliche Gewalt" allein zustand.
Besonders auch in Deutschland hat die Debatte um PA, nach
einer kurzen enthusiastischen Phase als der PAS Begriff auch hier
bekannt wurde, geradezu groteske Züge angenommen, vermutlich auch weil
diese Phase nicht von eigener (empirischer) Forschung gefolgt war,
sondern vielfach nur die Entwickungen aus Nordamerika in der Diskussion
wiederholt wurden, einschließlich der längst bekannten Kontroversen. Es
ist inzwischen, so wie es ein ehemaliger OLG Richter, D. W.
Weychardt (2007)
, der sich mit seiner
Beteiligung an einigen "PAS Urteilen" durchaus offen für das Konzept
zeigte, sehr treffend so formulierte (
Vortragsmanuskript zur
elterlichen Verantwortung, 2007)
:
,,Der
RA sollte sich allerdings überlegen, ob es sinnvoll ist, sofort
(im Vorfeld und / oder bei Gericht) mit dem Stichwort ‚PAS’ zu
operieren.
Dadurch könnten auf der Richterbank auch gewisse Aversionen geweckt
werden, wie weiland, als man/frau mit dem Vorwurf des sexuellen
Mißbrauchs punkten wollte. Es geht doch darum, Eskalationen bei allen
Beteiligten zu vermeiden!"
Dem ist voll zuzustimmen, insofern der
konkrete Sachverhalt im Einzelfall immer möglichst genau dargestellt
und nicht mit allgemeinen Schlagwörtern oder gar Vorwürfen operiert
werden sollte. Das einzige Problem ist nur, das mit der Vermeidung
der Bezeichnung "Parental Alienation" das Auffinden von
Urteilen die in etwa einen Sachverhalt beschreiben wie ihn den meisten
grob mit diesem Begriff verbinden wesentlich erschwert wird. Es gibt
auch in Deutschland immer noch nicht wenige familiengerichtliche
Urteile, die zwar
die Begriffe PA und PAS meiden, aber in hervorragender Weise und in
aller Deutlichkeit beschreiben wie ein Elternteil das Kind negativ
gegen den anderen Elternteil beeinflußt, den Umgang verhindert und
durch diese psychische Misshandlung dem Kind schweren Schaden zufügt.
Wir hatten am 19.12.2012 auf solche aktuelle Urteile zum
Sorge-und
Umgangsrecht
hingewiesen. Das wirkliche ernste Problem hier ist nur, dass es
überwiegend bei diesen Worten bleibt und wenig und vor allem nicht früh
genüg etwas unternommen wird um Umgangsvereitelung und
Eltern-Kind-Entfremdung zu beenden. Wie die umfangreiche Erfahrung, vor
allem aus Nordamerika zeigt, sind bloße Appelle an die Einsicht von
entfremdenden Elternteilen weitgehend nutzlos. Es braucht klare
gerichtliche Anordnungen, die auch durchgesetzt werden. Das ist auch
die Voraussetzung für eine Therapie zur Wiederannäherung zwischen Kind
und entfremdetem, ausgegrenzten Elternteil, vor allem weil sie der
entfremdende Elternteil meist zu torpedieren versucht. In Deutschland,
wenn eine Therapie überhaupt angeordnet wird, gelingt das sogar ganz
leicht meist
von Anfang oder spätestens in einem Beschwerdeverfahren. Außerdem zeigt
die
Erfahrung, dass eine Therapie bei Eltern-Kind-Entfremdung spezielle
Techniken erfordert, eine konventionelle Psychotherapie dagegen die
Situation sogar verschlimmern kann, vgl. z. B. die einzelnen Kapitel
darin erfahrener klinischer Psychologen und Autoren in Baker, Amy J. L.
and Sauber, R. L.,
Working with
alienated children and families: A clinical guidebook,
Routledge, New York 2012, und ähnliche Fachbücher, von denen es in
Deutschland bisher allerdings kein einziges gibt, und das nicht einmal
in Übersetzung. Hier wirkt sich die Kontroverse um Parental Alienation
leider ganz schwerwiegend auf betroffene Eltern und Kinder aus, weil
sie den Anreiz von Fachleuten sich zu diesen unbestreitbaren Phänomen
(mit welcher
theoretischen Interpretation auch immer) fortzubilden stark vermindert
und es dann
an Aufmerksamkeit für PA und Fachkompetenz fehlt.