Information von Väter für Kinder e.V.:

Besonders Kindesentführungen vom Ausland nach Deutschland erregen derzeit* einige Aufmerksamkeit, weil der Bundesrepublik immer wieder vorgeworfen wird, dem Gebot der raschen Rückführung, entsprechend dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte der Kindesentführung, nicht ausreichend nachzukommen. Allein durch eine lange Verfahrendauer werden dann oft vollendete Tatsachen unter Anwendung des Kontinuitätsprinzips und durch Entfremdung des Kindes geschaffen. Exakt dieselben Probleme treten aber auch bei innerstaatlichen Kindesentführungen auf. Ein Elternteil der, unter Verletzung des Mitsorgerechts des anderen, eine Trennung unter Mitnahme der Kinder einleitet, gar wenn diese als "Flucht" dargestellt wird, kann den anderen erfolgreich ausgrenzen und schafft sich erhebliche Vorteile bei der schließlich durchzuführenden Sorge - und Umgangsregelung. Natürlich muß Vorwürfen einer akuten Kindeswohlgefährdung in jedem Fall nachgegangen werden, aber dies sollte raschestens geschehen. Wer aber meint, dass ohne eine solche Gefährdung eine Rückführung zu erwarten ist, und sei es nur irgendwann, wird durch den folgenden in Auszügen wiedergegebenen Aufsatz eine ganz erhebliche Ernüchterung erfahren, was die gängige Praxis betrifft. Die Autoren schlagen deshalb, in Anlehnung an das Haager Übereinkommen, Verbesserungen bei der Behandlung innerstaatlicher Fälle vor. [Vgl. dazu auch die ausführlichen Kommentare zu den Artikeln des kanadischen Strafgesetzes bzgl. Verletzung des Mitsorgerechtes in der Entscheidung eines kanadischen Höchstgerichts.

Wir beschränken uns auf Auszüge die speziell die innerstaatliche Situation betreffen und verweisen im übrigen auf die Originalarbeit und unsere Informationen zum Haager Übereinkommen.  

FamRZ 1998 (23), 1488-1491

Kindesentführung: ins Ausland verboten - im Inland erlaubt?

Von WERNER GUTDEUTSCH, Richter am OLG München,
und Rechtsanwalt JÜRGEN RIECK, München

Die deutsche Rechtspraxis prüft nicht, ob ein Elternteil das Mitsorgerecht des anderen durch Mitnahme des gemeinsamen Kindes verletzt hat, und steigt in diesen Fällen sofort in die Kindeswohlprüfung ein, wobei eigenmächtig geschaffene Verhältnisse erst einmal anerkannt werden. Diese Praxis erschwert die Umsetzung des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte der Kindesentführung [HKiEntÜ]. Es wird vorgeschlagen, in analoger Anwendung von Regelungen des HKiEntÜ auch für innerstaatliche Fälle der Verletzung des Mitsorgerechts einen Rückführungsanspruch des anderen Elternteils unter dem Vorbehalt der Kindeswohlgefährdung anzuerkennen.
   

I. Das HKiEntÜ und die innerstaatliche Rechtsordnung

Haager Übereinkommen (.HKiEntÜ)...
Das deutsche Recht kennt die Kindesentführung nur als Straftatbestand. In Sorgerechtsverfahren kann sie nur als Indiz eines Eignungsmangels - übrigens kaum anders als das Zurücklassen der Kinder bei Trennung - Bedeutung haben und rangiert hier gleichrangig mit der Vereitelung des Umgangsrechts. Wenn ein Sorgeberechtigter unter Beeinträchtigung des Sorgerechts des Partners das Kind mitnimmt, fehlt es am Straftatbestand. Der Frau wird deshalb meist geraten, im Fall eines Auszugs aus der Ehewohnung die Kinder mitzunehmen. Dies auch schon deshalb, weil anderenfalls vermutet würde, sie stelle ihr eigenes Trennungsinteresse über das Wohl der Kinder (im Stich lassen).
......... II. Innerstaatlicher Anspruch auf Rückführung des Kindes

1. Konflikt mit der Rechtspraxis im Inland

Durch eine Zuständigkeitskonzentration für Verfahren nach dem HKiEntÜ wurde dem Faustrecht im zwischenstaatlichen Verkehr entgegengewirkt, während es im innerstaatlichen Bereich fortgelten würde. Der Rückführungsanspruch ist nämlich dem innerstaatlichen deutschen Recht, und zwar dem bis 1. 7. 1998 geltenden und auch dem neu in Kraft getretenen, nicht bekannt. Wenn ein Ehegatte aus der Ehewohnung auszieht und die gemeinsamen Kinder mitnimmt, kann der andere die Rückführung selten erreichen. Das Gegenteil ist vielmehr durch den Zuständigkeitswechsel nach  § 606 1 S.2 ZPO der Fall, wenn der sich trennende Partner mit den Kindern in einen anderen Gerichtsbezirk verzieht, bevor das Verfahren der Scheidung rechtshändig wurde5).

Der Anspruch auf Herausgabe des Kindes nach § 1632 I BGB steht den Sorgeberechtigten nur gemeinschaftlich zu, solange keine gerichtliche Sorgerechtsregelung vorhanden ist. Das Umgangsrecht nach § 1684 BGB kann die Verletzung seines Sorgerechts nicht aufwiegen. Es bleibt nur der Antrag auf Übertragung des Sorgerechts und in diesem Zusammenhang der weitere Antrag auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Hier prüft der Richter jedoch bereits, wo das Kind besser aufgehoben ist. Das Gericht steigt somit in die Sachentscheidung ein, denn das Kindeswohl hat oberster Grundsatz bei allen Sorgerechts-, Umgangs- und Aufenthaltsentscheidungen zu sein. Verzögerungen der Entscheidung bewirken eine Verfestigung der neuen Verhältnisse6) zum Nachteil der Chancen des anderen Elternteils im Sorgerechtsverfahren.

2. Lücke im innerstaatlichen Rechtsschutz

Die Mitnahme des Kindes beim Auszug bedarf nach § 1627 BGB grundsätzlich der Zustimmung des sorgeberechtigten anderen Elternteils. Können sich die Eltern nicht einigen, müssen sie nach § 1628 BGB die Entscheidung des Familiengerichts herbeiführen. Die eigenmächtige Mitnahme des Kindes stellt daher einen, freilich sanktionslosen, Rechtsbruch dar7). Sie verletzt das Sorgerecht des anderen Elternteils, aber auch das Recht des Kindes auf Zusammensein mit diesem Elternteil. Daß eine Verletzung des Sorgerechts vorliegt, ergibt sich aus dem als innerstaatliches Recht anwendbaren Art. 3 HKiEntÜ. Das BVerfG sieht auch das Elternrecht nach Art. 6 I GG berührt8). Die Verletzung des Rechts des Kindes auf Zusammensein mit dem anderen Elternteil ergibt sich aus Art. 8, 9 des New Yorker UN-Übereinkommens v. 20.11.1989 über die Rechte des Kindes9). Dieses ist allerdings wegen der erklärten Vorbehalte kein innerstaatliehes Recht. Geltendes Recht ist jedoch Art. 5 EMRK 10), aus dem sich ein solches Recht ebenfalls ergibt. Der geltenden Praxis fehlt die Möglichkeit, ohne Eingriff in das Sorgerecht die Rechtsverletzung rückgängig zu machen, so wie es im HKiEntÜ vorgesehen ist.

3. Besondere Relevanz der Lücke durch die Kindschaftsrechtsreform ab 1. 7. 1998
....................
4. Lückenfüllung

Da jedoch das Sorgerecht als solches durch den Herausgabeanspruch des § 1632 I BGB geschützt wird, liegt es nahe, aus dieser Vorschrift unter Aufgabe der bisherigen wohl herrschenden Rechtsprechung 11) im Wege der erweiternden Auslegung im Lichte des HKiEntÜ und der Kindschaftsrechtsreform als minderen Anspruch denjenigen auf Rückführung des Kindes (ohne Eingriff die elterliche Sorge) herzuleiten12).

In Hinblick darauf, daß durch die Eigenmächtigkeit des einen Elternteils das Kindeswohl und auch das Kindesrecht wie das Elternrecht des anderen verletzt wird, kann die mit der Rückführung verbundene Beeinträchtigung des Kindes den Anspruch (analog Art. 13 Ib HKiEntU) nur dann ausschließen, wenn sie eine Gefährdung des Kindwohls  i. S. des § 1666 BGB darstellt. Zwar muß umgekehrt auch der Zwangslage Rechnung getragen werden, in der sich der betreuende Elternteil befindet, wenn er sich vom Partner trennen und zugleich die Kinder nicht unversorgt zurücklassen will13).
.......

5. Analoge Anwendung des HKiEntÜ

Die Kindesentführung i. S. des HKiEntÜ unterscheidet sich wohl von den Inlandsfällen durch eine durchschnittlich stärkere Verletzung des Sorgerechts des anderen Elternteils, weil sie zur Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates und wegen der großen Systemunterschiede zu gänzlich veränderten rechtlichen Bedingungen für den Sorgerechtsstreit führen kann. Im Einzelfall kann jedoch ein Tatbestand nach Art. 3, 12 HKiEntÜ einen geringeren Eingriff in das Sorgerecht darstellen als eine Mitnahme der Kinder im Inland. Ein Gatte, der aus der Ehewohnung in Freilassing auszieht und die Kinder nach Salzburg mitnimmt, beeinträchtigt das Elternrecht des Partners weniger, als wenn er mit den Kindern von Freilassing nach Flensburg zieht. Trotzdem muß im ersteren Fall das Kind nach dem HKiEntU zurückgegeben werden, im zweiten nicht. Es liegt daher nahe, im Wege der analogen Anwendung 14) das Abkommen auf die Inlandsfälle heranzuziehen, zumal auch sie oft mit einem ,,forum shopping" verbunden sind15). Die Einzelregelungen des Abkommens sind weitgehend auch für die Entscheidung von
Inlandsfällen geeignet.
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Anwendbar können auch die Regelungen des Art. 13 Ia HKiEntÜ sein, wonach der Antragsgegner das Vorliegen einer Zustimmung des Antragstellers zu beweisen hat, sowie des Art. 13 Ib HKiEntÜ, der den Herausgabeanspruch bei erheblicher Gefahrdung des Kindeswohls ausschließt. In lnlandsfällen hat hier entsprechend dem durchschnittlich geringeren durch die Entführung verursachten Schaden an die Stelle der qualifizierten Kindeswohlgefährdung (schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind) die einfache Kindeswohlgefährdung nach §§ 1671, 1672 BGB a. F zu treten 17).
  Die Berücksichtigung eines entgegenstehenden Kindeswillens kann analog Art. 13 II HKiEntÜ erfolgen.
 Wesentlich ist auch die Bestimmung des Art. 19 HKiEntU, wonach die Rückführungsanordnung keine Entscheidung über das Sorgerecht darstellt.

6. Verfahren

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III. Mißbrauchsgefahr

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Die Mißbrauchsgefahr rechtfertigt es jedenfalls nicht, in jedem Fall den Rechtsschutz gegen die eigenmächtige Mitnahme der Kinder bei der Trennung zu versagen und dadurch das Unrecht der Kindesentführung sanktionslos zuzulassen, ja zu fördern19).

IV. Kindeswohlorientiertes Verfahren

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V. Zusammenfassung

1. Das Kindesentführungsabkommen ist über § 1532 I BGB analog auch auf entsprechende Sorgerechtsverletzungen im
Inland anzuwenden, insbesondere in dem Fall, daß ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen bei der Trennung die Kinder mitnimmt, obgleich die Betreuung der Kinder auch in der Wohnung möglich ist, und wenn ein  Mitsorgeberechtigter sein Kind nach Ablauf des vereinbarten Umgangsrechts nicht zurückgibt.

2. Abweichend von Art. 12 HKiEntÜ muß der Antrag unverzüglich nach Kenntnis der Sorgerechtsverletzung gestellt werden.

3. Die Versagung der Rückführung ist analog Art. 13 Ib HKiEntÜ bei Kindeswohlgefährdung möglich, wobei jedoch nicht die strengen Maßstäbe dieser Vorschrift, sondern diejenigen der §§ 1671, 1672 BGB a. F anzulegen sind.

4. Das Verfahren richtet sich nach §§ 621 ff ZPO.

......

5) §  606 I  i. V mit  261 III Nr.2 ZPO.

6) Stichwort: ,,Kontinuität." (BT-Drucks. 8/2788, S.61); BayOLG, NJW 1953, 626.

7) Die Ansicht des OLG Nürnberg,. FamRZ 1998, 314, 315, die Mitnahme des Kindes beim Auszug sei nicht rechtswidrig. sondern Ausfluß des Partnerkonflikts der Parteien, aus der Selbständigkeit des jeweiligen Elternrechts ergebe sich ein einseitiges Aufenthaltsbestimmungsrecht, geht sicher zu weit. Richtigerweise dürfte in dem vom OLG entschiedenen Fall ein Rechtfertigungsgrund vorgelegen haben oder er lag wegen des Aufenthalts im Frauenhaus zumindest nahe. Letztlich hing aber die Entscheidung des OLG auch nicht von der Rechtmäßigkeit der Mitnahme des Kindes ab, ja nicht einmal davon, ob das Kind überhaupt mitgenommen wurde, denn für das isolierte Sorgerechtsverfahren war das AmtsG  nach §§  36, 43 FGG bereits dann zuständig, wenn allein die Antragstellerin im Frauenhaus nach § 7 BGB Wohnsitz begründet hatte (s. u. Fn. 13) Nach § 11 BGB teilt das Kind den Wohnsitz auch des ausgezogenen Elternteils. Fraglich war hier also nur, ob ein Wohnsitz durch Einzug in ein Frauenhaus trotz dessen vorläufigen Charakters begründet werden kann. Das wird man entgegen der Meinung des AmtsG bejahen müssen, weil die Vorläufigkeit der Wohnung nicht den Willen ausschließt, in der gewählten Gemeinde zu bleiben.  

8) FamRZ 1996, 1267

9) BGBl 1992 II 121.

10) Römische Europ. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950 (BGBI 1952 II 685, 953). Siehe dazu die Plenarentscheidung BVerfG 74, 358; ferner Brötel, in: KoeppeI, Kindschaftsrecht und Völkerrecht, 1996, S.49 ff.

11) Siehe hierzu etwa Palandt/Diederichsen, BGB, § 1632  Rz. 2.

12) Ähnlich Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl.. S. 874; Staudinger/Salgo, BGB, 12. Aufl., § 1632 Rz. 15.

13) Jedoch könnte diese Zwangslage dadurch entschärft werden, daß die Gerichte nicht aus jeden Zurücklassen der Kinder auf Desinteresse oder Eigensucht des weichenden Gatten schließen, zumal die Kinder ja bei dem anderen Elternteil zumeist nicht unversorgt sind (Schwächung des Kontinuitätsgrundsatzes).

14) Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen [Fn. 121 und Staudinger/Salgo [Fn. 12].

15) Die Zuständigkeit für das Scheidungsverfahren kann auf diese Weise durch den Ausziehenden einseitig begründet werden, weil § 606 1I S. 2 ZPO nach h. M. nur auf die tatsachlichen, nicht auf die rechtlichen, §§ 1627, 1628 BGB entsprechenden Verhältnisse abstellt (OLG Bremen, FamRZ 1992, 963). Auf die Zuständigkeit vor Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens hat die Mitnahme des Kindes geringeren Einfluß [Fn. 7]. Hier gilt das ,,Windhundprinzip". Begründet der ausziehende Elternteil einen neuen Wohnsitz, woran ihn niemand hindern kann, so erlangt das Kind nach § 11 BGB einen weiteren Wohnsitz und damit einen weiteren Gerichtsstand für ein Sorgerechtsverfahreii nach §§ 43, 36 FGG. Auch derjenige, bei dem das Kind nicht lebt, kann daher an seinem Wohnsitz ein Sorgerechtsverfahren anhängig machen, wobei die frühere Anhängigkeit die Entscheidungszuständigkeit begründet. Allerdings muß er damit rechnen, daß der Richter nach §§ 46 III, 43 FGG die Sache an ein ebenfalls zuständiges Gericht abgibt, in dessen Bezirk das Kind seinen tatsächlichen Aufenthalt hat. Auch vor Rechtsahängigkeit des Scheidungsverfahrens ist daher derjenige, der das Kind mitnimmt, im Vorteil.

16) Hier wird man bedenken müssen, ob nicht aus dem Gedanken des inländischen Rechtsschutzes, des Fehlens von Sprachbarrieren etc., eine kürzere Frist geboten wäre.

17) Hierfür spricht, daß die zu § 1666 BGB entwickelte Rechtssprechung stets eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des Kindeswohls voraussetzt. Zu bedenken ist die Heranziehung der Grundsätze der §§ 1671, 1672 IIGII a. F da die Entführung begrifflich die Trennung der Ehegatten voraussetzt.

......

19) Siehe oben die Fn. 5 und 7.

 * Stand 1998. Inzwischen wird weit weniger von der Ausnahmeregelung, Art. 13b, bei der Rückführung Gebrauch gemacht. 

Ergänzung  23.9.2008:

Es ist in Deutschland gängige Praxis, dass ein Elternteil  bei einer Trennung die gemeinsamen Kinder unter Verletzung des Mitsorgerechts des anderen Elternteils einfach (meist heimlich) mitnimmt und dafür am neuen Wohnort gleich mit  der (vorläufigen ) Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts "belohnt" wird, ganz anders als etwa in Frankreich, wo es gegen einen derartigen Kindesentzug, aber auch schon gegen die "bloße" Verletzung des Umgangsrechts durch einen nicht mitgeteilten Umzug des Wohnelternteil eine Reihe von Strafvorschriften gibt (Art 227-5 - Art 227-11 des Code penal.). Wir haben diesen Umstand wiederholt beklagt.
Meist wird durch einen solchen Umzug der Umgang des zurückgelassenen Elternteils mit dem Kind schon durch eine oft große Entfernung erheblich erschwert (Kosten und Folgen, die nach deutscher Praxis allein der Umgangsberechtigte zu tragen hat, nicht der verursachende Elternteil), wenn er nicht bewußt verhindert wird. Dessen ungeachtet wird im Allgemeinen dem eigenmächtig "mitnehmenden" (um nicht zu sagen "entführenden") Elternteil dann, unter Hinweis auf das sog. Kontinuitätsprinzip, selbst wenn Kontinuität allein durch eine lange Verfahrensdauer bedingt ist, dann endgültig zumindest das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen und damit der Vorgang unter weitgehendem Ausschluß des anderen Elternteils verfestigt.

Exakt dieses Verhaltensmuster, in einem Fall bei dem der zurückgelassene Vater des Kinder sogar unbestritten die Hauptbetreuungsperson gewesen war, war kürzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde - 1 BvR 1265/08, Beschluss vom 27.Juni, 2008, veröffentlicht in  Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) 9, 2008, S. 378-380. Obwohl die Beschwerde (aus formalrechtlichen Gründen) leider nicht zur Entscheidung angenommen wurde, findet das Bundesverfassungsgericht dennoch sehr deutliche Worte zu dieser "gängigen  Praxis" und den negativen Folgen für das Kindeswohl.

Rechtlich wird sich an dieser Praxis auch durch die 2009 in Kraft tretende FGG Reform nur insofern etwas ändern, dass im Falle einer eigenmächtigen Kindesmitnahme, nicht wie bisher der neue Wohnort des Kindes automatisch Gerichtsort wird, sondern die Zuständigkeit beim Gericht des früheren Wohnorts belassen werden kann, aber nicht muss.(anders als die nach dem Haager Übereinkommen bei internationaler Kindesentführung verbindliche Rückführung an den Ort/Land des "gewöhnlichen Aufenthaltes" und der alleinigen Zuständigkeit der dortigen Gerichte zum Sorgerecht.) Die FGG Reform sieht außerdem Maßnahmen zur Verkürzung der Verfahrensdauer vor, die das Bundesverfassunggericht in seiner Stellungnahme auch gegen das Argument der "Kontinuität" und angesichts des besonderen kindlichen Zeitempfindens als besonders wichtig hervorhebt. (Zur örtlichen gerichtlichen Zuständigkeit bei eigenmächtiger Kindesmitnahme vgl. auch die Entscheidung des OLG Zweibrücken v. 15.2.2008, ZKJ 7/8, 2008. S. 335-336, sowie den Kommentar dazu von RiAG Martin Menne, ZKJ 7/8 2008, S. 308-309).
Anmerkung: Die Bestimmungen des deutschen Strafrechts zur "Entziehung Minderjähriger", § 235 StGB, scheinen hier auch nicht zu greifen, weil 1. ein Strafantrag des Geschädigten erforderlich wäre, also gegen den anderen Elternteil des Kindes, was einer späteren gedeihlichen Ausübung der gemeinsamen Elternverantwortung sicher nicht dient, und 2. der einzige hier in Frage kommende Tatbestand, nach Abs. 1, Satz 1,  "List" ist, damit Gegenstand einer Interpretation, die, unserer Erfahrung nach (bei Einstellung des Verfahrens) wenigstens von  den Betroffenen kaum nachvollzogen werden kann.    

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