Wir freuen uns sehr, dass wir nach der Wiedergabe ausgiebiger Kritik an deutschen Entscheidungen zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, wie gerade wieder aus dem amerikanischen Kongreß, gleich vier Entscheidungen vorstellen können, die dieser Kritik standhalten und der Interpretation des Haager Übereinkommens entsprechen, wie sie beispielsweise von den Experten Albert Bach & Birgit Gildenast in ihrem exzellenten Buch ,,Internationale Kindesentführung" (1999) dargestellt wird. Der Hauptkritikpunkt, gerade auch wieder im amerikanischen Kongreß, ist die zu extensive Auslegung der Ausnahmebestimmung, Artikel 13, nach dem ausnahmsweise dem raschen Rückführungsgebot nicht entsprochen werden muß:
Artikel 13
Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,
a) daß die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder
b) daß die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.
Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen. wenn festgestellt wird, daß sich das Kind der Rückgabe widersetzt und daß es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. Bei Würdigung der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes erteilt worden sind.
Der Sinn des Übereinkommens, eine rasche Rückführung des Kindes in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes, in dem allein dann eventuell Sorgerechtsentscheidungen zu treffen sind, wird ausgehebelt, wenn die Bestimmung (b) über eine ernste Gefahr nicht sehr eng ausgelegt wird. Artikel 13 bestimmt ferner, daß zur Aufhellung des sozialen Umfeldes des Kindes Informationen der Behörden aus dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts, also nicht des Zufluchtstaates, herangezogen werden. Allein schon auf Grund dieser Bestimmungen unterscheiden sich diese Fälle grundsätzlich von inländischen Sorge/Umgangsrechtsfragen. Allerdings sind viele der auftretenden Probleme auch ohne "Auslandberührung" ähnlich. Sie betreffen das Kindeswohl, Entfremdung durch Beinflußung oder lange Zeitdauer des Verfahrens (es gibt dabei leider nicht einmal eine Art. 11 entsprechende inländische Vorschrift über die Zeitdauer), Umgangsvereitelung etc. Die Entscheidungen werden auch vielfach von denselben Gerichten (Richtern) getroffen (jetzt allerdings nicht mehr von jedem beliebigen Familiengericht). Kindesentführung wird auch im Inland ständig praktiziert, sogar ohne einem dem Haager Übereinkommen entsprechenden, dagegen gerichteten Maßnahmenkatalog oder wenigstens Sanktionen, vgl. Kindesentführung: ins Ausland verboten - im Inland erlaubt? Von WERNER GUTDEUTSCH, Richter am OLG München, und Rechtsanwalt JÜRGEN RIECK, München, FamRZ 1998 (23), 1488-1491.
Die vorliegenden Entscheidungen, wiedergegeben in FamRZ 2000, Heft 6, Seiten 370-375, bestätigen insbesondere die Auffasssungen zu einer sehr engen Auslegung des Art. 13 im Detail. Wir hoffen, dass damit eine längst fällige Trendwende eingeleitet wurde.
1. OLG Hamm-HKiEntÜ Art. 3, 8, 12, 13, 15. 7. FamS. , Beschluß v. 2.3.1999 -7 UF 43/99.
1. Eine vom Gericht am früheren Aufenthaltsort gemäß Art. 3, 15 HKiEntÜ getroffene Feststellung der Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens eines Kindes kann bei der Anwendung der Art. 8 und 12 HKiEntÜ durch Gerichte des Zufluchtstaats ohne eigene Sachprüfung übernommen werden.
2. Die Ausnahmebestimmung des Art. 13 HKiEntÜ ist eng auszulegen. Bei ihrer Anwendung ist -anders als bei Sorgerechtsentscheidungen - nicht allein das Wohl des Kindes bestimmender Maßstab, sondern in erster Linie die Zielsetzung des Übereinkommens, die schnelle Rückführung entführter Kinder an ihren früheren Aufenthaltsort und eine dort zu treffende Sorgerechtsentscheidung zu ermöglichen.
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die Funktionsfähigkeit des Abkommens voraussetzt, dass Entscheidungen des Herkunftstaates, wie die Widerrechtlichkeit des Verbringens nach Art. 3 und der entsprechenden Bescheinigung nach Art. 15 respektiert werden, auch um mit der nach Art. 11 gebotenen Beschleunigung entscheiden zu können. Es sei das Recht des Herkunftstaates maßgebend. Dieser verfüge auch über die besseren Möglichkeiten zur Klärung der Sachlage.
Zu Art. 13 (b) führt das Gericht aus:
Das HKiEntÜ dient dem Ziel, die Eltern bzw sonstigen Obhutspersonen oder anderen Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen ihrer Kinder ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sicherzustellen. Dem so verstandenen Schutz des Kindes würde die Berücksichtigung der zwangsweise mit jeder Rückführung verbundenen Belastungen für das Kind im Rahmen der Folgenabwägung widersprechen. Sie könnte auch dazu führen, zunächst geschaffenen vollendeten Tatsachen von vornherein ein Übergewicht zu geben. Die Ausnahmebestimmung des Art. 13 ist daher eng auszulegen (vgl. BVerfG, FamRZ 1996, 405; 1999, 85). Bei ihrer Anwendung ist - anders als bei Sorgerechtsentscheidungen - nicht allein das Wohl des Kindes von Bedeutung, sondern in der Regel primär und vor allem das oben definierte Ziel des Abkommens, das die schnelle Rückführung widerrechtlich ins Ausland verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder einschließt. Es entspricht daher seit der Entscheidung des BVerfG v. 15.2.1996 (FamRZ 1996, 405) gefestigter allg. Rspr., daß gegenüber diesen Zielen des Abkommens sich nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohis durchsetzen können, die über die mit einer Rücküberstellung zwangsläufig verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen.
Solche schwerwiegenden Beeinträchtigungen haben die Beschwerdeführer und das beteiligte Jugendamt [JA] nicht dargetan und sie sind nach Aktenlage auch nicht erkennbar... [wird ausgeführt]...
Die Mutter kann sich nicht darauf berufen, die Rückkehr nach Schweden würde sie in unzumutbarer Weise belasten, da sie für mögliche hieraus resultierende Härten durch ihr widerrechtliches Verhalten selbst die Ursache gesetzt hat. Selbst die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung am früheren Aufenthaltsort begründet für den entführenden Elternteil nach Ansicht des BVerfG (FamRZ 1999, 85, 87) eine unzumutbare Härte nicht.
Einer weitergehenden Prüfung, ob die Rückführung der Kinder mit dem Kindeswohl vereinbar ist, bedarf es auch im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG v. 29. 10. 1998 (FamRZ 1999, 85) entgegen der Ansicht der Mutter nicht. Im Gegensatz zu dem dort entschiedenen Fall liegen hier keine widerstreitenden Rückfübrungsanträge vor *. Die Gefahr kurzfristiger Hin- und Rücküberstellungen mit den damit verbundenen besonderen Gefahren für das Kindeswohl besteht also hier nicht. Der durch das JA vorgetragene Gesichtspunkt eines ,,vorschnellen Aufenthaltswechsels" mit einem möglichen erneuten Aufenthaltswechsel nach Abschluß des Sorgerechtsverfahrens kann die zu treffende Entscheidung nicht beeinflussen, weil eine solche Möglichkeit bei der Anwendung des HKiEntÜ vorausgesetzt ist, die sich hieraus ergebende Beeinträchtigung des Kindeswohls also den Zielen des Abkommens untergeordnet ist...........
Anm. d. Red.: Das BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) hat die gegen vorstehenden Beschluß erhobenen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, FamRZ 1999, 641 (dort auch ergänzende Informationen zum Sachverhalt).
* Allerdings ist uns, im Gegensatz dazu und der erhofften Trendwende, ein Beschluß des OLG München vom Dezember 1999 bekanntgeworden, in dem zunächst zwar auch festgestellt wird, dass keine gegenläufige Kindesentführung vorliegt, aber dann ausgerechnet mit dieser gegenläufige Entführungen betreffenden BVerfG Entscheidung argumentiert wird, um eine Kindeswohlprüfung, sogar unter Einschaltung des Jugendamtes, vorzunehmen und dann unter Hinweis auf Art. 13 eine Rückführung der Kinder nach Frankreich abzulehnen. Es wies damit die Beschwerde gegen des Beschluß des AG München vom 30.9.99 auf Kosten des Antragstellers ab. Dieses hatte zunächst (Juli 99) zwar den Antrag der Mutter auf einstweilige Übertragung des Sorgerechts abgewiesen, unter Hinweis auf das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiete des Schutzes Minderjähriger - MSA (Franz., Engl.) vom 5.10.1961, Art. 13, 1, wonach ein französisches Gericht zuständig und auch keine Maßnahmen nach Art. 4,9, dieses Abkommens erforderlich seien. Allerdings, wenn vorher die widerrechtliche Entführung festgestellt wird, wie hier auch, darf das MSA gar nicht angewendet werden! Das HKiEntÜ hat nach Art. 34 S. 1 dieses Abkommens ausdrücklich Vorrang gegenüber dem MSA. Das wurde nach Bach & Gildenast, S. 15, schon in einem weiteren deutsch-französischen Entführungsfall vom OLG München übersehen (Beschluß vom 28.11.1996 - 4 - WF 154/96), ebenso vom OLG Celle, Beschluß vom 13.11.1991 - 18 UF 185/91, ebenfalls in einem deutsch-französischen Entführungsfall, in dem der Mutter sogar vom AmtsG Göttingen sofort das Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen worden war, entgegen Art. 16 HkiEntÜ. |
Zu obigem Beschluß des OLG Hamm gibt es eine Folgeentscheidung nach Art. 16.
Ist den Gerichten oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaates, in den das Kind verbracht oder in dem es zurückgehalten wurde, das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten des Kindes im Sinne des Artikels 3 mitgeteilt worden, so dürfen sie eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen, wenn entschieden ist, daß das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist, oder wenn innerhalb angemessener Frist nach der Mitteilung kein Antrag nach dem Übereinkommen gestellt wird.
2. OLG Hamm - HKiEntÜ Art. 16. (7. FamS, Beschluß v. 8. 6.1999 - 7 UF 199/99)
1. Art. 16 HKiEntÜ ist dahin zu verstehen, daß die Behörden und Gerichte des ersuchten Staates eine Sachentscheidung erst dann treffen dürfen, wenn ein Rückgabeantrag nicht binnen angemessener Frist gestellt wird oder über das Rückgabeersuchen negativ entschieden ist. Im letzteren Fall dauert das Entscheidungsverbot jedenfalls so lange fort, wie über den am früheren Aufenthaltsort schwebenden Sorgerechtsstreit noch nicht entschieden ist.
2. Das Verbot der Sorgerechtsentscheidung -nach Art. 16 HiEntÜ schließt das Verbot ein, über das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entscheiden.
Die Mutter hatte beim AmtsG (VormG) beantragt, ihr das alleinige Sorgerecht für die nichtehelichen Kinder (bei bestehenden gemeinsamen Sorgerecht in Schweden) zu übertragen und im Wege der vorläufigen Anordnung ihr zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht einzuräumen. Beide Anträge wurden vom AmtsG zurückgewiesen. Die Mutter sei gehalten, ihre Rechte in Schweden geltend zu machen, da dort bereits ein Sorgerechtstreit um die gemeinsamen Kinder schwebe. Der Senat schließt sich der Entscheidung in diesen Punkten voll an. Im Zuflluchtsstaat sei der Vorrang des HKiEntÜ zu wahren.
Die Rückgabeanordnung nach Art. 12 HKiEntÜ soll den früheren Zustand wiederherstellen und eine Sorgerechtsentscheidung am früheren Aufenthaltsort ermöglichen. Art. 12 wird durch das Sachentscheidungsverbot des Art. 16 ergänzt. Dadurch soll verhindert werden, daß Anträgen nach dem HKiEntÜ durch innerstaatliche Verfahren der Boden entzogen wird (Staudinger/Pirrung, 13. Aufl., Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Wz. 692). Ist somit über das Rückgabeersuchen positiv entschieden worden, so muß das Sachentscheidungsverbot im Zufluchtsstaat erst recht gelten.
Zum Art. 16 vgl. auch den unten stehenden Beschluß des OLG Stuttgart und Bach & Gildenast, die auf eine häufige Verletzung hinweisen (siehe auch die erwähnte Entscheidung des AmtsG im folgenden Bescvhluß).
3. OLG Bamberg -HKiEntÜ Art. 3, 12, 13. 7. ZS-FamS- Beschluß v. 9.6. 1999 - 7UF 39/99.
Steht die Widerrechtlichkeit der Entführung fest, so sind nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls geeignet, die Rückführung des Kindes zu verhindern. Es genügt nicht, daß das Kind sich noch im Kleinkindesalter befindet, an den Kontakt mit der - entführenden - Mutter gewöhnt ist und mit dieser schon längere Zeit in der neuen Umgebung verbracht hat.
Hier ist die Mutter mit dem 1996 geborenem Kind im Dez. 1997, bei bestehendem gemeinsamen Sorgerecht aus den USA nach Deutschland gezogen. Das AmtsG übertrug ihr im Juni 1998 das alleinige Sorgerecht für die Dauer der Trennung. Sie widersetzt sich der vom Vater beantragten Rückführung des Kindes, die vom FamG, nach Anhörung des Jugendamtes, am 29.1.1999 angeordnet wurde. Sie bezieht dabei sowohl auf die Abs. a) und b) des Art. 13. Nach Überzeugung des Senat ist das Verbringen oder Zurückhalten des Kindes widerrechtlich (Art.3), ohne die Zustimmung des Vaters nach Art. 13 a) und ohne dass die schwerwiegende Gefahr körperlichen oder seelischen Schadens bei einer Rückführung besteht (Art 13 b). Das OLG weist ebenfalls wieder auf die Unterschiede zu einer innerdeutschen Sorgerechtsentscheidung hin. Danach müße dem Rückführgebot des Abkommens entsprochen werden, obwohl ,, nach den Erkenntnismöglichkeiten des Senats die meisten Umstände derzeit dafür sprechen, der Mutter das Sorgerecht zuzuerkennen.":.......
Zunächst ist klarzustellen, daß der Senat keine Entscheidung darüber trifft, welcher Elternteil überhaupt oder besser geeignet ist, das Sorgerecht für das Kind auszuüben, das Kind kindeswohlgerecht zu versorgen und zu betreuen. Es kommt somit überhaupt nicht darauf an, ob der Aufenthalt bei der Mutter oder beim Vater dem Kindeswohl am besten entspricht. Es geht vorliegend nicht um eine Sorgerechtsentscheidung, sondern um die Rückführung dei Kindes. Daher können Sorgerechtskriterien für eine ausnahmsweise Versagung der Rückführung nach Art. 13 Ib HKiEntÜ keine Rolle spielen. Das Übereinkommen dient dem Ziel, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes sicherzustellen (BVerfG, FamRZ 1996, 405, m.w.N.). Diesem Ziel gegenüber können sich daher nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls im Einzelfall durchsetzen, die über die mit einer Rückübentellung gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten hinausgehen (BVerfG, FamRZ 1999, 641).
Somit sind nicht maßgeblich allein Kriterien der Mutter/Kind- und Vater/Kind-Beziehung, denen bei einer Sorgerechtsentscheidung entscheidendes Gewicht zukommt. .........
Der Senat übersieht nicht, daß, wie oft in solchen Rückführungsfällen, auch und gerade wie hier bei Kleinkindern, die jetzt schon länger Kontakt nur zur Mutter (und deren Eltern) gehabt, schon längere Zeit in der neuen Umgebung gelebt und sich möglicherweise integriert haben, ein seelischer Schaden, der durch die Rückführung verursacht wird, unvermeidbar sein könnte. Es ist auch nicht zu verkennen, daß sich das Kind aufgrund der plötzlichen und u.U. länger dauernden Trennung vom fürsorgenden Elternteil in einer Lage befinden kann, die zu einer schwerwiegenden Schädigung des Kindes sowohl körperlich als auch seelisch führen könnte. Diesem Gesichtspunkt kommt zudem im vorliegenden Fall deswegen besonderes Gewicht zu, weil nach den Erkenntnismöglichkeiten des Senats die meisten Umstände derzeit dafür sprechen, der Mutter das Sorgerecht zuzuerkennen.
Der Senat hält dennoch bei Abwägung dieser möglichen Gefahren eine Rückführung nach dem HKiEntÜ für verpflichtend. Zunächst gilt bei diesem Gesichtspunkt generell die Überlegung, daß bei der Sicherstellung der Sorgerechtsenrscheidung am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vor der widerrechtlichen Entführung diese Entscheidung kindeswohlgerecht ausfallen wird. Es ist davon auszugehen, daß das international zuständige Gericht in den USA die Sorgerechtsentscheidung treffen wird, die dem Wohl drs Kindes am besten entspricht und dabei auch und gerade die durch die Rückführung geschaffene Situation bei seiner Entscheidung mit berücksichtigt.
Bemerkenswert erscheint uns auch die Betonung im Schlußsatz, dass eine schwerwiegende Gefahr zweifelsfrei festzustellen ist, und nicht etwa wegen möglicher Zweifel eine Rückführung abzulehnen ist:
Der Senat kann daher nicht zweifelsfrei feststellen, daß die Rückgabe des Kindes mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt, und ist damit nach dem HKiEntÜ zur Anordnung der Rückgabe des Kindes verpflichtet.
4. OLG Stuttgart - HKiEntÜ Art. 11, 16. (17. ZS-FamS-, Beschluß v. 8.11.1999- 17UF 347/99).
1. Die Sperrwirkung des Art. 16 HKiEntÜ gegen eine Sorgerechtsentscheidung im Aufenthaltsstaat des entführten Kindes erstreckt sich auch auf ein unverzüglich eingeleitetes Verfahren auf Vollziehung der Rückgabeanordnung.
2. Gerichtsvollzieher sind gehalten, bei der Vollziehung von Rückgabeanordnungen nach dem HKiEntÜ die Verpflichtung zu beschleunigter Bearbeitung gemäß Art. 11 HKiEntÜ zu beachten.
In diesem Fall hat sich die Entführerin vor dem Senat verpflichtet, mit den Kindern freiwillig nach Kanada zurückzukehren. Gleichwohl legte sie dann gegen die entsprechende vom Senat beschlossene vollstreckbare Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein, die aber nicht angenommen wurde. Sie kehrte auch, entgegen mehrmaliger Zusicherung, nicht nach Kanada zurück, sonder tauchte für 2 Monate unter, als der Vater schließlich die Rückführung per Gerichtsvollzieher durchsetzen wollte. Sie reichte einen Scheidungsantrag in Deutschland ein und begehrte die Übertragung der elterlichen Sorge für beide Kinder auf sich. Das AmtsG hat den Sorgerechtsantrag zurückgewiesen, da Art. 16 HKiEntÜ einer Sachentscheidung entgegenstehe.
In ihrer Beschwerde führt sie aus, das AmtsG sei verpflichtet sich erneut materiell mit dem Rückführungsbegehren des AGg. auseinanderzusetzen. Auch schließe die derzeitigeHaltung der Kinder die Rückführung nach Art. 13 II (entgegenstehender Kindeswille) aus.
Ergänzend zum Wortlaut des Art. 16 führt der Senat aus:
Nach dem Wortlaut betrifft Art. 16 HKiEntÜ allerdings nur die Fälle, in denen nach der Mitteilung des rechtswidrigen Verbringens oder Zurückhaltens eines Kindes an die Behörden des Staates, in welchem sich das Kind befindet, entweder ein Rückführungsantrag anhängig oder die angemessene Frist zum Anhängigniachen noch nicht abgelaufen ist. In dem zu entscheidenden Fall liegt dagegen schon eine unaufechtbare Rückführungsanordnung vor, aus welcher der Vollzug betrieben wird. Eine Auslegung des Art. 16 HKiEntÜ entsprechend dessen Sinn und Zweck führt jedoch dazu, daß die Sperrwirkung der Vorschrift gegen eine Sorgerechtsentscheidung in erweiternder Auslegung nicht nur während der Dauer des Rückführungsverfahrens, sondern auch während der vom Herausgabeberechtigten in angemessener Frist eingeleiteten Vollziehung der Rückgabeanordnung anzunehmen ist (Staudinger/Pirrung, BGB, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Anm. 694 a. E.). Andernfalls könnte nämlich die vom HKiEntÜ beabsichtigte Rückführung regelmäßig dadurch unterlaufen werden, daß durch bloße Verzögerung der Rückgabe der entführten Kinder eine Sachentscheidungskompetenz des Aufenthaltsstaats erreicht würde. Ist somit - wie hier - schon bei Einleitung des Scheidungsverbundverfahrens die Sperrwirkung des Art. 16 HKiEntÜ zu beachten, so wirkt sich das Verfahrenshindernis als verfahrenshindernder Zulässigkeitsmangel aus.
Gerügt wird auch eine grobe Pflichtverletzung durch den Gerichtsvollzieher:
Schließlich ist dem AGg. das pflichtwidrige Handeln des Gerichtsvollziehers nicht zuzurechnen. Der Gerichtsvollzieher hat in grober Weise gegen Art. 11 HKiEntÜ verstoßen, indem er erst zwei Monate nach Eingang des Vollziehungsantrags einen Abholungstermin über einen Monat hinaus anberaumt hat, obwohl keinerlei Hindernisse ersichtlich sind, entsprechend Sinn und Zweck des Übereinkommens unverzüglich den Vollziehungsantrag durchzuführen.
Der Senat wendet sich auch gegen die Beanspruchung des Art. 13 II:
Soweit eine Sorgerechtsentscheidung wegen des Verfahrenshindernisses des Art. 16 HKIEntÜ unzulässig ist, bedarf es einer Anhörung der Kinder nach §50b 1 FGG nicht, da keine materiell-rechtliche Entscheidung über das Sorgerecht getroffen wird. Auch entspricht es mit Billigung des BVerfG dem Kindeswohl grundsätzlich am besten, wenn das Kind in das Land, aus welchem es entführt wurde, zurückgegeben wird (13VerfG, FamRZ 1996, 405). Soweit die ASt. die Kinder in der Weise beeinflußt, daß sich diese gegen eine Rückkehr aussprechen, hat sie dies zu verantworten. Es obliegt ihr, alles zu unternehmen, um die mit der Rückkehr der Kinder typischerweise verbundene Beeinträchtigung des Kindeswohls möglichst zu vermindern. Dies gilt insbesondere in bezug auf die ablehnende Haltung der Kinder, zu ihrem Vater zurückzukehren. Die Rückkehr nach Kanada hat nicht zwangsläufig zur Folge, daß dem AGg. die Sorge für die Kinder zugesprochen wird, sondern ermöglicht es, in Kanada ein Sorgerechtsverfahren einzuleiten, innerhalb dessen das Kindeswohl zu prüfen ist. In diesem Verfahren kann u. a. geprüft werden, in welcher Weise die Bindungen der Kinder zu jedem Elternteil ausgeprägt sind und warum von den Kindern ein dauernder Aufenthalt beim AGg. - wie von der ASt. vorgebracht - abgelehnt wird. Nachdem die ASt. die Kinder unter Verletzung des Sorgerechts des Vaters in die Bundesrepublik Deutschland verbracht hat, ist es ihr trotz der beachtlichen Kosten zuzumuten, zur Abmilderung der Belastungen der Kinder diese bei ihrer Rückkehr nach Kanada zu begleiten; dies war u. a. Grundlage der vor dem Senat geschlossenen Vereinbarung, an der sich trotz der zeitlichen Verzögerung nichts geändert hat. ....