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Information von Väter für Kinder e.V.:

Kommentar zur aktuellen Berichterstattung über Kindesentführung nach Deutschland.

Anläßlich des Außenministertreffens Albright-Fischer, einer einstimmigen Resolution des amerikanischen Repräsentantenhauses und des bevorstehenden Besuches von Präsident Clinton in Deutschland gibt es eine wahre Flut von kritischen Berichten über internationale Kindesentführung von den USA nach Deutschland. Vergessen werden sollte dabei, gerade weil sich derzeit deswegen ein französischer Vater im Hungerstreik befindet, aber auch nicht die lange Liste massiver Beschwerden aus Frankreich über die deutsche Handhabung solcher Fälle.

Es überrascht uns nicht allzusehr, wenn es vereinzelte Stimmen gibt, die die kritische Berichterstattung in Deutschland als "Nestbeschmutzung" betrachten und versuchen eine Gegenrechnung aufzumachen, oder die Berichterstattung im Ausland gar auf politische (Wahl-) Manöver zurückführen. Wenn aber solche Töne ausgerechnet von der deutschen Justizministerin gekommen sein sollten, ist das für uns mehr als befremdend.

VfK e.V. ist am 26.5.2000 eine REUTERS Meldung zugegangen, von der wir allerdings in der deutschen Presse bisher nur eine Kurzmeldung finden konnten (US Schelte zurückgewiesen, Frankfurter Rundschau, 26.5.2000). Danach wies Frau Däubler-Gmelin US-Vorwürfe zurück, wonach deutsche Gerichte in Sorgerechtskonflikten gegen internationale Vereinbarungen verstoßen (vgl. dazu auch unseren Bericht über frühere Äußerungen zu französisch-deutschen Fällen) Sie erklärte der ARD, dass es zuletzt 160 solcher ,,Sorgerechtsfälle" gegeben habe, deren große Mehrheit zur Zufriedenheit aller gelöst worden sei. [VfK Anmerkung: Der Hauptkritikpunkt an der deutschen Handhabung von internationaler Kindesentführung fußt gerade darauf, dass solche Fälle wie (inländische) Sorgerechtsfälle behandelt werden, wenn das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung ausdrücklich vorschreibt, dass Kinder unverzüglich in den Staat ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zurückgebracht werden müssen, und nur dort eine Sorgerechtsentscheidung, mit entsprechender Kindeswohlprüfung, zu treffen ist.]

Senator DeWine (Rep., Ohio) soll aber am 17. Mai an Clinton geschrieben haben, dass von 1990 bis 1998 in nur 22 % der Fälle, in denen ein Antrag nach dem Haager Übereinkommen gestellt wurde, die Kinder auch aus Deutschland rückgeführt wurden. Das würde die freiwillige Rückführung durch den entführenden Elternteil einschließen. [Deutschland fürwahr ein Entführungsparadies?, vgl. DIE WELT, 29.1.2000]. Die Rückführungsquote aus den USA soll dagegen bei etwa 90 % liegen [man muß dabei auch beachten, dass es dort keine Meldegesetze wie in Deutschland gibt, und es mitunter sehr schwierig sein kann den Aufenthaltsort ausfindig zu machen.]

Was von der Stellungnahme der Ministerin von der ARD (im Mittagsmagazin) ausgestrahlt wurde, ist uns leider nicht bekannt. Die uns vorliegende REUTERS Meldung ,,Minister defends German handling of US custody cases, by Adam Tanner, geht aber auch auf den Fall Cooke ein. Dazu wird die deutsche Justizministerin zitiert, dass sie glaube es seien Fehler gemacht worden. Der Fall sei aber alles andere als einfach. Und: ,,The standoff in the Elian case again showed that reports are one thing, emotion another and the truth a third thing," [ Leider haben wir keine Originalaussage in Deutsch, also etwa: ,,Der Stillstand (durch Gegenkräfte, Konfrontation) im Elian Fall zeigte wieder, dass Berichte eine Sache sind, Emotionen eine andere, und die Wahrheit eine dritte".]

Dass dabei unbestritten Emotionen eine Rolle spielen, sollte zumindest jeder Mutter und jedem Vater mehr als verständlich erscheinen. Für von Kindesentführung nicht direkt Betroffene ist aber vermutlich das ganze Ausmaß der Tragödie nicht nachvollziehbar. Es handelt sich aber zumindest, unseres Empfindens nach, um zutieftstunmenschliches Verhalten, wenn der Kontakt zwischen Kindern und einem Elternteil, oder mit Großeltern im hohem Lebensalter (im Fall Laylle-Meyer z. B. ist der Großvater etwa 86, entsprechend den biographischen Angaben in den Büchern ,,Two Children behind a wall, 1997" und "They are my children too",. 1999) und anderen Bezugspersonen, zu denen einst ein enges Verhältnis bestand, oft über viele Jahre vollständig verhindert wird. Das sind verlorene Jahre, mit nachhaltigen Auswirkungen auch auf das Kindeswohl (und den späteren Erwachsenen), selbst wenn später ein Kontakt wieder zustandekommen sollte.

Die Frau Minister sollte nach der REUTERS Meldung auch noch unterstellt haben, das politische Manöver vor den Novemberwahlen zu einer Übertreibung der Angelegenheit geführt hätten. ,,This stirring up of opinion in the election season is not in order," she said.

Da erscheint uns die Reaktion von Außenminister Fischer schon weit verständlicher. Nach übereinstimmenden Presseberichten zeigte er sich menschlich tief betroffen vom Fall Cooke und versprach ihn ,,zuhause" vorzubringen. Sein Hinweis auf die Unabhängigkeit deutscher Gerichte ist an sich auch richtig, allerdings nur soweit es ein laufendes Verfahren betrifft. Diese Unabhängigkeit und Gewaltenteilung ist ein Eckpfeiler jeder Demokratie. Die Politik (der Gesetzgeber) hat aber die notwendigen Rahmenbedingungen für eine effektive und richtige Anwendung der Rechtsvorschriften zu schaffen. Dazu gehört eine entsprechende Ausbildung der Rechtsanwender und, in Kindschaftssachen, unbedingt auch eine besondere zeitliche Beschleunigung der Verfahren. Das erläutert Stefan Heilmann sehr ausführlich und eindringlich in seinem Buch ,,Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht" (Luchterhand, 1998). Er weist auch darauf hin (S.12), dass die einzige Einschränkung im Gesetz für eine Tätigkeit als Familienrichter darin bestehe, dass ein Richter auf Probe sich mindestens im zweiten Jahr seiner Ernennung befinden muß. Für Vormundschaftsrichter fehle es gänzlich an einer Regelung, die die Schwierigkeit von Kindschaftssachen (auch nur ansatzweise) berücksichtige. Dass speziell das Recht zur Regelung internationaler Kindesentführung in Deutschland noch immer ein Schattendasein führt und für die Mehrzahl der Juristen nur ein Randgebiet ist, hebt selbst der Generalbundesanwalt, Key Nehm, in seinem Geleitwort zu dem Buch ,,Internationale Kindesentführung" von Bach & Gildenast (1999) hervor. Bis vor kurzem durfte selbst das kleinste Amtsgericht in Deutschland über solche Fälle entscheiden. Offensichlich erst unter internationalem Druck wurde eine Einschränkung auf speziell dafür designierte Gerichte vorgenommen, eine Regelung wie sie z. B. in Großbritannien schon lange besteht.

Die richterliche Unabhängigkeit steht keineswegs auch dem Jugendamt zu. Das Fehlen einer wirksamen Kontrolle seiner Tätigkeit und die mangelnde Ausbildung (und dadurch auch Überforderung) der MitarbeiterInnen wird zwar vielfach, meist wohl zu Recht, beklagt. Wenn es auch keine übergeordnete Kontrollinstanz gibt, so unterliegt die Tätigkeit (im Prinzip) wenigstens der kommunalen Selbstkontrolle, und es wird zumindest in §72 SGB VIII vorgeschrieben, dass für eine entsprechende Qualifikation der MitarbeiterInnen zu sorgen ist. Soweit die Tätigkeit des Jugendamtes ein Verwaltungsakt ist, unterliegt sie jedenfalls auch der Kontrolle der übergeordneten Regierungstellen und der Verwaltungsgerichte. Die Gewährung oder Nichtgewährung von Akteneinsicht ist zum Beispiel ein solcher Verwaltungsakt. Daruf sollten sich Betroffene, aber nur bei begründetem Anlass, auch berufen, und notfalls, gerade wegen der Unabhängigkeit der Gerichte, auch das Verwaltungsgericht anrufen, wenn keine ausreichende Information gegeben wird (meist unter dem Hinweis auf Schutzbelange Dritter).

Zu einem solchen Verwaltungsakt gehörte, zumindest unserer Meinung nach (vgl. unsere Zusammenfassung der Bestimmungen zu Unterbringung bei einer Pflegefamilie), im Fall Cooke auch die sofortige Einschaltung des wegen der krankheitsbedingten Verhinderung der Mutter sogar allein sorgeberechtigten (vgl. § 1678 BGB) Vaters. Die Notwendigkeit, die Tätigkeit des Jugendamtes einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen, erscheint an Hand des Falles Cooke besonders augenscheinlich (vgl. dazu auch den Essay von Christine Brinck in DIE WELT vom 27.5.2000: Kinder als Geiseln. Wenn ein Elternteil ein Kind entführt, reagiert die Justiz sehr langmütig auf das Kidnapping. ) Der Vater wurde (nach den Presseberichten) selbst nicht einmal nachträglich von der gerichtlichen Entscheidung über den Verbleib seiner Kinder bei den Pflegeelten verständigt. Allerdings darf nach Artikel 16 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (dazu zählt nach Art. 3 auch widerrechtliches Zurückhalten) gar keine Sorgerechtsentscheidung getroffen werden, sobald die Entführung feststeht und solange nicht die Rückführung abgelehnt wurde (Art. 13 HKÜ) , oder kein Antrag auf Rückführung innerhalb angemessener Frist gestellt wurde.

Befremdend (und angesichts der nicht allzuweit zurückliegenden deutschen Geschichte geradezu peinlich) sind aus verschiedenen Fällen auch Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung aus der Tatsache, dass im Ausland meist nicht Deutsch gesprochen wird (auch im Fall Cooke). Jeder, der nur irgendwie Kontakt hatte mit Kindern aus binationalen Familien, oder aus Familien, die neu in ein Land kommen, wird wissen, wie schnell sich Kinder an die neue Sprache anpassen. Man muß, um ihnen die Zwei (oder Mehr-)sprachigkeit zu erhalten, meist sogar sehr rigoros darauf beharren, dass sie mit der Mutter oder dem Vater nur deren Sprache sprechen.

Wir hoffen, es versteht sich von selbst, dass auch unsere kritische Berichterstattung über die Handhabung von Kindesentführung nach Deutschland keine "Nestbeschmutzung" ist, sondern ganz im Gegenteil, dass wir dieses "Nest", in dem wir ja auch wohnen, damit "rein" halten wollen. Es sollte auch offensichtlich sein, dass diese Kritik weitestgehend auch die Handhabung rein inländischer Kindschaftsrechtfälle betrifft. Entscheidungen dazu werden ja auch weitgehend von denselben Behörden, Gerichten und sogar denselben Personen getroffen.

 

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