Information von Väter für Kinder e.V.:

Umzug von Kindern nach Trennung/Scheidung und das Kindeswohl.

                     Neue Forschungsergebnisse und rechtliche Überlegungen.

 
Das Problem, dass Eltern-Kind Kontakte durch den Umzug eines Elternteils nach Trennung und Scheidung je nach Distanz ganz erheblich erschwert, wenn nicht praktisch unmöglich gemacht werden können, beschäftigt viele verantwortungsbewusste Eltern, auch hierzulande, wie auch Zuschriften an uns immer wieder zeigen.  Im deutschen Kindschaftsrecht, dagegen, spielt dieses Problem praktisch keine Rolle, selbst dann nicht, wenn ein Umzug mit den Kindern bei noch bestehender Ehe oder Lebensgemeinschaft gegen den Willen des anderen Elternteils oder heimlich erfolgte, als erstem Schritt um diese Gemeinschaft aufzulösen. Im Gegenteil, nach dem Kontinuitätsprinzip, in Verbindung mit einer dem kindlichen Zeitempfinden widersprechenden, zu langen Verfahrensdauer, hat der Elternteil zumeist Vorteile, der sich auf diese Weise zum "Alleinbesitz" der Kinder verholfen hat. Während ein solcher Umzug, z. B. von Freilassing in Bayern nach Salzburg/Österreich, also über ganz wenige Kilometer, als internationale Kindesentführung einen Anspruch auf rasche Rückführung (möglichst innerhalb 6 Wochen) nach dem Haager Übereinkommen auslösen würde, gilt dies nicht bei einer Kindesentführung über die größtmögliche Entfernung im Inland, von Strafverfolgung ganz abgesehen,  vgl. Kindesentführung: ins Ausland verboten - im Inland erlaubt? Von WERNER GUTDEUTSCH und JÜRGEN RIECK, FamRZ 1998 (23), 1488-1491.

Aber auch nach einer legalen Trennung/Scheidung wird hierzulande nicht geprüft, welche Auswirkungen der Umzug eines Elternteils auf das Kindeswohl hat, gleichgültig ob ein Umzug eines Elternteils z. B. aus beruflichen Gründen wenigstens erstrebenswert, wenn nicht erforderlich war, oder auch nur erfolgte, um dem anderen Elternteil weiteren Kontakt zu den Kindern effektiv verwehren zu können, weil der Umgangsberechtigte dann dafür nicht mehr die Zeit und Kosten aufbringen kann. Unterstützt wird dies noch durch eine Gesetzgebung, die dem Umgangsberechtigten allein sämtliche Kosten für den Umgang aufbürdet. Sogar ein ganz geringfügiger Steuerfreibetrag, der sog. Kontaktfreibetrag  (auch "Schokoladenfreibetrag" genannt) von 600 DM wurde schon 1989 ersatzlos gestrichen. Der Bundesgerichtshof hat 1994 entschieden (BGH v. 9.11.94 -X II 206/93, FamRZ 95/215, NJW 1995, Heft 11, S. 717- 718, ), dass mit dem hälftigen (!) Kindergeld auch die Kosten des Umgangs bestritten werden müssen, was allerdings nach der neuen 135 % Regelung über die hälftige Anrechnung des Kindergeldes beim Unterhalt (§1612, Abs. 5, BGB) neue Fragen aufwirft.  Gegen dieses BGH Urteil wandte sich zwar schon 1995 OLG Richter Weychardt (FamRZ 1995, Heft 9, S. 539- 340), aber es gilt immer noch (FamRZ 2000, 1099, 1100).

Es ist bezeichnend für die Situation in Deutschland, dass Höchstgerichturteile (BGH, Urteil vom 19. Juni 2002 - XII ZR 173/00 - OLG Frankfurt am Main, AG Fürth/Odw., BVerfG, 1 BvR 2029/00 vom 5.2.2002, Absatz-Nr. (1 - 14), http://www.bverfg.de, vgl. auch AmtsG Gütersloh - 14 C 315/96 [FamRZ 1998 (9) 576-577]. ) erforderlich sind und diese noch dazu erhebliches Aufsehen erregen, wenn es sich eigentlich um eine Selbstverständlichkeit handelt, wie, dass Mehrkosten, die einem Umgangsberechtigten durch willkürliches und sogar oft nicht einmal vorher erkennbares Verletzen einer gerichtlichen Umgangsregelung entstehen, zu ersetzen sind (vgl. Weychardt,  FamRZ 2003, S.927, Rakete Dombeck, Forum Familien -und Erbrecht, Heft 6, 2002, anders aber Schwab, FamRZ 2002, 1297). Auch dass Eltern, im Interesse des Kindes, soweit kooperieren sollen, dass der eine Elternteil das Kind z. B. wenigstens zum Flughafen begleitet, wenn der andere schon sämtliche Kosten für Flug und Umgang übernimmt, sollte keiner höchstrichterlichen Entscheidung bedürfen.

Selbst im benachbarten Ausland gelten ganz andere Regeln. Dort werden Umgangsregelungen u. U. auch durch Bestrafung wegen Umgangsvereitelung durchgesetzt. In Frankreich z. B. muss nach der Sorgerechtsreform von 2002 darüber hinaus jeder Wohnungswechsel dem anderen Elternteil vorher mitgeteilt werden, wenn das den Umgang mit dem Kind modifiziert. Bei Differenzen kann das Familiengericht angerufen werden, das entsprechend dem Kindeswohl den Aufenthaltsort des Kindes und auch den Unterhalt ändern kann. Das Gericht teilt die durch den Umzug bedingten Kosten auf.  Ferner wurde mit dieser Reform ein Wechselmodell (residence alternee) zum Aufenthalt des Kindes eingeführt, dass auch gegen den Willen eines Elternteils vom Gericht angeordnet werden kann. Auch das setzt natürlich, vor allem bei schulpflichtigen Kindern,  voraus, dass die Entfernung der Eltern durch Umzug nicht allzu groß wird.

Über eine Regelung in Norwegen, nach der auch Umgangskosten entsprechend dem Einkommen der Eltern anteilsmäßig zu teilen sind, berichtete RA Dr. Koeppel auf seiner Homepage, am 1.1.2002.

In den USA sind Restriktionen beim Umzug und auch das Wechselmodell beim Aufenthalt des Kindes schon seit Jahrzehnten üblich. Auch eine anteilige Aufteilung des Kindesunterhaltes je nach der bei einem Elternteil verbrachten Zeit gibt es in vielen Staaten, z. B. in Kalifornien. Wir haben darüber schon mehrmals berichtet.

Eine Zusammenfassung und Diskussion der rechtlichen Situation in den USA findet sich auch in einem neuen Aufsatz, der sich allerdings in erster Linie mit den psychischen Folgen eines Umzuges für die betroffenen Kinder befasst:

Relocation of Children After Divorce and Children’s Best Interests: New Evidence and Legal Considerations

Sanford L. Braver, Arizona State University; Ira M. Ellman, Arizona State University and University of California, Berkeley, William V. Fabricius, Arizona State University,

Journal of Family Psychology 2003, Vol. 17, No. 2, 206–219, herausgegeben von der American Psychological Society.

Beim Lesen dieses Aufsatzes wurde zumindest der Schreiber dieser Zeilen zunächst gleich wieder an die Feststellung (aus seiner privaten Korrespondenz, daher hier ohne Namensnennung) einer der weltweit bekanntesten Autoritäten auf diesem Gebiet erinnert: ,,,Ich glaube, dass sich unsere zwei Kulturen, Gesetze und Rechtspraxis bezüglich Sorge- und Umgangsrechtsfragen ganz erheblich unterscheiden und, dass Deutschland da auf dem Stand der U. S. A. in den sechziger Jahren ist." 

Im Vergleich zu Deutschland und Europa sind die Menschen in den USA ungleich mobiler. Umzug aus beruflichen oder auch nur rein persönlichen Gründen, selbst über den ganzen Kontinent hinweg, ist überhaupt nicht ungewöhnlich, auch nicht, wenn dies mehrmals erfolgt, ja wird bei beruflicher Veranlassung wie selbstverständlich erwartet. Dass dies aber für von Trennung / Scheidung betroffene Kinder und den zurückgelassenen Elternteil ein erhebliches Problem darstellt, wurde schon lange erkannt. Deshalb ist, wenn ein Umzug gegen den Willen des anderen Elternteils erfolgen soll, trotz der geradezu erwarteten hohen Mobilität, im Allgemeinen die Zustimmung des Familiengerichts, das eine Kindeswohlprüfung durchführt und die Gründe für den Umzug überprüft, einzuholen. Es kann zu einem Wechsel des Sorgerechts / Aufenthaltbestimmungsrechts (genauer, primary custody, da ja meist gemeinsame Sorge) kommen. Auch eine Übernahme der durch den Umzug verursachten Mehrkosten für Umgang kann ausgesprochen werden, abhängig von den Statuten des jeweiligen Staates.

Der Aufsatz zitiert zunächst (S. 206-209) Statistiken über die Umzugshäufigkeit und beschreibt die kontrovers diskutierte rechtliche Problematik, besonders nach neueren Tendenzen die Beschränkungen des Umzugs zu lockern, ausgelöst z. T. durch das amica curiae Schreiben von Judith Wallerstein (1995), wonach was gut für den betreuenden Elternteil ist, auch gut für das Kind sei. [Die neuere 25 Jahr Studie von Wallerstein über "Scheidungskinder", die zwar auch Probleme beim Umgang, häufig per Flugzeug, anspricht, setzt aber ganz andere Schwerpunkte, und hätte bei Kenntnis der amerikanischen Gegebenheiten, oder auch nur des vollständigen Buchtextes, nicht so leicht, wie in Deutschland, für Argumente gegen Umgang und gemeinsame Sorge missbraucht werden können. Weit eher gilt genau das Gegenteil, wie auch Gespräche mit Judith Wallerstein selbst zeigten.]  Insbesondere R. Warshak (2000) wandte sich aus psychologischer Sicht sehr deutlich gegen dieses Argument und zitiert etwa 75 Studien, sogar einige aus der Gruppe von Wallerstein, die die gegenteilige Schlussfolgerung unterstützen, nämlich dass möglichst beide Elternteile in der Nähe ihrer Kinder bleiben sollten. 

Der Schwerpunkt des Aufsatzes liegt  auf den psychologischen Folgen eines Umzuges über größere Distanz für "Scheidungskinder" und speziell auf den Langzeitfolgen. Dazu wurden erstmals College (Universitäts-) Studenten befragt, unterteilt nach dem "Umzugs-Status" ihrer Eltern. Bei den meisten, deren Eltern umzogen, ergab sich eine erhebliche Beeinträchtigung. 

Es wurde ein Fragebogen verteilt, der von 2067 Studenten beantwortet wurde, davon hatten 602, d.h. 29%, geschiedene Eltern, ein Prozentsatz der auch aus anderen Studien repräsentativ erscheint. Dabei ist zu beachten, dass im betreffenden Staat Eltern nicht verpflichtet werden können, die Kosten für eine Universitätsausbildung zu tragen, die je nach dem ob man im Staat beheimatet ist oder nicht, etwa $12000 bzw. $20000 /Jahr betragen. Es wurde in der Untersuchung deshalb nicht nur gefragt, welcher Elternteil weggezogen ist und wer mit Kindern und über welche Entfernung, sondern auch nach der jeweiligen finanziellen Unterstützung der Eltern für das Studium (eine Frage, die auch im oben erwähnten Buch von Wallerstein eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielt.)

Am interessantesten für uns sind natürlich, weil Kinder überall gleich empfinden, die Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Es gibt Studien die auf körperliche Probleme nach Trennung Scheidung hinweisen, insbesondere kardiovaskulare Erkrankungen, aber sehr viele die sich mit den psychischen Problemen beschäftigen, wie im Aufsatz ausgeführt wird. Viele Studien sind allerdings "Momentaufnahmen", die zu dem Eindruck führten, psychische Probleme treten nur vorübergehend in der unmittelbaren Nachtrennungsphase auf.

Die vorliegende Studie untersucht statistisch 14 Faktoren, die finanzielle und emotionale Unterstützung durch die Eltern, persönliche psychische Probleme und Anpassung, Sozialbeziehungen, Drogenmissbrauch und physische Gesundheit betreffen, vor allem langfristig. Es wurde, im Vergleich zu Scheidungskindern, deren Eltern nicht wegzogen, eine Fülle von negativen Effekten gefunden, angefangen schon bei der finanziellen Unterstützung, aber vor allem was die psychische Situation betrifft, wie mehr Kummer über die Scheidung der Eltern, Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen, allgemeine Lebensunzufriedenheit,  Schwierigkeiten bei persönlicher und emotionaler Anpassung. Die Studie weist aber auch auf eine verschlechterte allgemeine körperliche Gesundheit hin, mit der Andeutung erheblicher, potentieller Risikofaktoren*).  

In 82 % der Fälle bewirkte der Umzug eine Trennung vom Vater. Ein Umzug war wesentlich weniger häufig (48% : 75 %), wenn die Eltern gemeinsame Sorge hatten, als wenn die Mutter Alleinsorge hatte. Eine Metaanalysis, Bausermann, Child adjustment in joint-custody versus sole-custody arrangements: A meta-analytic review. Journal of  Family Psychology, 16, 91–102, 2002, findet übrigens dazu auch, dass bei gemeinsamer Sorge (in den USA zu einem ganz erheblichem Teil im Rahmen eines Wechselmodells zum Aufenthalt des Kindes) die Kinder wesentlich weniger psychische Probleme haben, ein besseres Selbstwertgefühl entwickeln, und sich allgemein und scheidungsspezifisch besser anpassen können.

Der Aufsatz betrachtet kritisch auch mögliche Fehlerquellen und andere mögliche Erklärungen für die Resultate der Befragungen. Er endet mit einer erneuten Diskussion der rechtlichen Situation, wie sie sich aus der Untersuchung ergibt.  Es erscheine zweifelhaft, ob und wie effektiv man einen nicht sorgeberechtigten Elternteil zwingen könne, in der Nähe seines Kindes zu bleiben und einen guten Kontakt zu pflegen (grobe Vernachlässigung solcher Kontakte könne aber z. B. die Freigabe zu einer Adoption begründen). Dagegen sei eine an den Wechsel des Sorgerechts zum zurückbleibenden Elternteil gebundene Erlaubnis zum Wegzug ein hochwirksames Mittel einen solchen Wegzug zu verhindern. Jedenfalls sollte die Beweislast bezüglich des Kindeswohls beim Elternteil liegen der mit den Kindern wegziehen will, statt beim zurückgebliebenen Elternteil. 

Für weitere rechtliche und psychologische Details, vor allem auch zu den sehr zahlreichen Literaturstellen dazu, müssen wir auf diesen sehr lesenswerten Artikel selbst verweisen.

*) Wenn auch nicht direkt im Zusammenhang mit dem Umzug getrennter Eltern und der dadurch verursachten reduzierten Kontakthäufigkeit zu einem Elternteil, so gibt es doch eine Reihe von weiteren Untersuchungen, vor allem über die psychischen Probleme nach Trennung/Scheidung und den positiven Einfluss eines häufigen, möglichst konfliktfreien Kontaktes der Kinder zu beiden Eltern, insbesondere im Rahmen einer gemeinsamen Sorge (besonders in den USA sehr häufig nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern im Rahmen eines Wechselmodells mit etwa gleich langem Aufenthalt des Kindes bei beiden Eltern).
Eine neuere Bevölkerungsstudie aus Schweden, in der die statistischen und medizinischen Unterlagen von fast einer Million Kindern aus Zwei-Eltern-Haushalten mit denen von 65000 Kindern aus Ein-Eltern-Haushalten verglichen wurden, weist auf eine erhöhte Sterblichkeit, Häufigkeit von Verletzungen, Suizid und Drogenabhängigkeit, aber vor allem auf eine wesentliche größere Häufigkeit von psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern aus Ein-Eltern-Haushalten hin. Die wirtschaftliche Situation und möglicherweise andere Faktoren die in einer derartigen Studie (ohne Befragung der Kinder/Eltern) nicht adäquat erfasst werden können, mögen dabei auch eine Rolle gespielt haben. Jedoch änderte die Berücksichtigung von demographischen und soziökonomischen Faktoren nichts am wesentlichen Befund. Das Risiko in allen genannten Faktoren blieb 2-3 mal so hoch, im Vergleich zu Kindern aus Zwei-Eltern-Haushalten. Allerdings handelt es sich hier um relativ gravierende Fälle, deren Häufigkeit insgesamt sehr gering ist. Weitere Untersuchungen, in anderen Sozialsystemen, aber auch mit Methoden die zusätzliche Faktoren erfassen können, sind sicher angebracht.
Die Arbeit, 
Mortality, severe morbidity, and injury in children living with single parents in Sweden: a population-based study  von Gunilla Ringbäck Weitoft, Anders Hjern, Bengt Haglund, Måns Rosén ist in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift Lancet erschienen (Volume 361, Number 9354, 25 January 2003, s. 289-295 ). Zusammenfassungen auch in weiteren medizinischen Berichten: http://www.medizin-2000.de/news/2003/single_parent.html und auf Deutsch ,,Ist ein Elternteil zu wenig?" (letzter Absatz der pdf Datei.)

      

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