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Väter für Kinder e.V.
Postfach 380 268, 80615 München
Nummer 4/99
verantwortlich i. S. d. P.: Dr. A. Schneider / Vorsitzender
Psychologie im Familienrecht
Tagungsbericht, Teil 1 | Aus der Andacht am dritten
Tag der Tagung (Protokoll, S.44):
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Damit ist zunächst natürlich die bewußte Lüge gemeint, der Lügenzeuge. Aber ist nicht auch ein fahrlässig abgegebenes Fehlgutachten ein solches falsches Zeugnis?
Es geht auch nicht um das künstlich aufgeblähte oder gar das gefällige Gutachten, das viel Geld bringt. Auf diese Gutachten paßt das neunte Gebot - dort geht es um Diebstahl und Betrug. Dierk Schäfer, Pfarrer und Studienleiter |
Zu dieser Tagung kamen 13 Referenten und etwa 70 weitere Teilnehmer. Unter den Teilnehmern waren Psychologen, Sozialpädagogen, Rechtsanwälte, sowie einige Vertreter betroffener Eltern, ja, und außer den Referenten noch ein (!) weiterer Richter. Das Tagungsformat erlaubte nicht nur eine meist ausführliche Diskussion der einzelnen Referate, sondern ein großer Teil der Zeit war einer intensiven weiteren Diskussion in verschiedenen Arbeitsgruppen vorbehalten. Dazu kamen auch umfangreiche, formlose interdisziplinäre Kontakte bei gemeinsamen Mahlzeiten, Kaffeepausen, und an der abendlichen Bar. Gerade solche persönlichen Kontakte erhöhen den Wert einer Tagung ganz erheblich. Er wird noch erhöht dadurch, daß die meisten Referenten bereit waren auch eine schriftliche Ausarbeitung ihres Vortrags für das Tagungsprotokoll zur Verfügung zu stellen, ja sogar Zusammenfassungen der Diskussion in den einzelnen Arbeitsgruppen. Das 225 seitige Tagungsprotokoll enthält auch weitere Materialien, die auf der Tagung verteilt wurden. Wir freuen uns, daß wir ein Kontingent unseren Mitgliedern verbilligt zur Verfügung stellen können.
Es ist unmöglich, hier die einzelnen Referate im Detail und in
gleicher Weise zusammenzufassen, wie ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis
des Tagungsprotokolls lehrt. Wir können nur dieses Protokoll als
reiche Fundgrube für weitere Studien empfehlen, aus der auch wir hier
noch für weitere, detailliertere Einzelberichte zu schöpfen hoffen.
Der Eindruck eines Teilnehmers ist notwendigerweise subjektiv, schon
von der Interessenlage her, und in diesem Fall auch dadurch, daß
man sich für eine einzelne Arbeitsgruppe entscheiden mußte,
die im Vergleich zu etwa 7 Stunden in Referaten (einschließlich Diskussion),
etwa 6 Stunden in Anspruch nahm, einschließlich einer Zusammenfassung
aller Workshops im Plenum. Der Rezensent nahm an dem vom Richter Elmar
Bergmann und vom psychologischen Sachverständigen Dr. Günther
Rexilius, Mönchengladbach, geleitetem Workshop "Richter
und Sachverständige" teil, ein Thema, das sie auch schon in einem
Plenarvortag, "Die Zusammenarbeit zwischen Richter
und psychologischen Sachverständigen im familienrechtlichen Verfahren
Das Rheydter Modell", behandelt hatten und dem auch Vorträge anderer
Referenten, wenigsten indirekt, gewidmet waren.
Das begann mit dem Vortrag "Psychologie im Familienrecht" des langjährigen Familienrichters, Prof. Siegfried Willutzki, der z. T. in recht kurzweiliger Weise aufzeigte, wie die Psychologie überhaupt erst in neuerer Zeit Eingang in das Familienrecht, insbesondere in das Kindschaftsrecht fand, welche Fehlentwicklungen es dabei gab, und, daß es auch nach der Kindschaftrechtsreform noch viel zu tun gibt, um diese wichtige interdisziplinäre Arbeit zu verbessern. Eine Tagung wie diese bietet dazu einen sehr guten Ansatz, obwohl man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß die Teilnehmer leider nicht unbedingt repräsentativ waren, indem sie sich gegenüber manchen sonstigen in der "Scheidungsindustrie" Tätigen durch besonderes Engagement für das Kindeswohl und Offenheit gegenüber neuen Ideen auszeichneten.
Das Kindeswohl ist ein Rechtsbegriff (vgl.dazu das Referat von Prof. Kurt Ebert, Innsbruck und den von ihm geleiteten Workshop), wenn auch ein sehr unbestimmter, der schon deshalb, aber vor allem weil es sich im Gegensatz zu anderen Rechtshandlungen um weit in die Zukunft gerichtete richterliche Entscheidungen handelt, zu seiner Interpretation der ständigen Hilfestellung durch die Humanwissenschaften bedarf. Allerdings, wie Willutzki auch einschränkend betonte, erfordert der Umgang mit Feststellungen unter dem Mantel wissenschaftlicher Unanfechtbarkeit einige Vorsicht. Zum Begriff des Kindeswohls meinen Bergmann/Rexilius gar: ,,So scheint es nicht übertrieben zu resümieren, daß so viele Vorstellungen von Kindeswohl sich in der Begutachterszenerie tummeln, wie es GutachterInnen gibt."
Bergmann und Rexilius demonstrierten an Hand ihrer eigenen persönlichen Zusammenarbeit die Notwendigkeit und die Möglichkeiten interdisziplinärer Arbeit im Kindschaftsrecht. Sie unterscheiden dabei sehr deutlich zwischen einem konservativ-klassischen Modell gutachterlicher Tätigkeit und einer handlungs- und lösungsorientierten Sachverständigentätigkeit. Im ersteren wird ein Mensch, nicht viel anders als ein Gegenstand, mit verschiedenen diagnostischen Werkzeugen (Tests) aus einer objektiven Distanz heraus, anscheinend neutral untersucht. Im Gegensatz dazu halten sie beim Umgang mit Kindern eine Annäherung des Sachverständigen an den Klienten, der für ihn nicht mehr Objekt, sondern gleichberechtigtes Subjekt ist, für unumgänglich. Dieser Gegensatz zur klassischen Begutachtung (des Istzustandes) sollte auch Gegenstand eines Streitgesprächs zwischen Dr. Michael Stadler (GWG, München) und Prof. Uwe Jopt (Universität Bielefeld) sein. Allerdings zeigte sich trotz graduell unterschiedlicher Auffassungen auch weitgehend Übereinstimmung, die bei der Teilnahme Stadlers am Workshop von Bergmann/Rexilius noch weit deutlicher zutage trat. Man kann sagen, daß es zu einem allgemeinen Konsensus auf der Tagung kam, daß die richterliche Beauftragung eines psychologischen Sachverständigen, über eine reine Diagnostik heraus, stets auch eine Intervention im Eltern-Kind-System bedeutet, auch wenn über das Ausmaß in dem diese bewußt stattfinden soll noch unterschiedliche Meinungen herrschen. Vgl. dazu auch den Aufsatz ,,Die Rolle des psychologischen Gutachters nach Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechtes" den Prof. B. Schade und Dipl. Psych. Sigrid Friedrich, Dortmund freundlicherweise zur Verfügung stellten, aus FPR, Heft 05-1998. Sie fassen beide Aufgaben im Begriff "Interventionsdiagnostik" zusammen, der dem der klassischen, reinen Statusdiagnostik gegenübersteht. Allein schon, daß hinter Sachverständigen die Macht des Gerichts steht, dem gegenüber ja auch nicht die Schweigepflicht besteht, an die Berater und Therapeuten gebunden sind, hat einen erheblichen Einfluß auf Verhalten und Kooperationswilligkeit der Klienten. Diese Feststellungen sind angesichts der hier noch herrschenden rechtlichen Situation weit wichtiger als sie sonst scheinen mögen. Hier nämlich wird, ganz anders als in den USA, Beratung und Therapie bestenfalls angeboten, ist aber keineswegs allgemein verpflichtend und kann auch nicht angeordnet werden. Therapie im Rahmen einer Begutachtung ist sogar durch gerichtliche Entscheidungen ausgeschlossen. Allerdings erweisen sich die hier statt dessen weitgehend üblichen gerichtlichen Appelle an Einsicht und Vernunft bei hochstrittigen Scheidungen und hartnäckiger Umgangsvereitelung meist als völlig wirkungslos. Jopt hat schon zuvor argumentiert, daß der Boykott von Beratungen (durch das Jugendamt), meist durch den Elternteil der sich des Sorgerechtes sicher fühlt, Konsequenzen haben sollte. Bergmann und Rexilius betonten, daß eine etwas umfangreichere Sachverständigentätigkeit, die durch Intervention schließlich zu Einsicht und einer Einigung im Familiensystem führt, letzten Endes sogar finanzielle Vorteile für die Staatskasse haben kann, und dann auch diese in geeigneten Fällen dafür herangezogen werden sollte (vgl. dazu einen Beschluß des Amtsgerichtes MönchenGladbach-Rheydt 16 F 104/97 vom 25.9.1998). Im Sinne des Kindeswohls ist es unbestritten wohl allemal, wenn es zu einer derartigen Einigung kommt.
Der Workshop "Richter und Sachverständige" beschäftigte sich neben einer Vertiefung dieses Problemkreises auch mit der Frage wie psychologische Sachverständige vom Gericht ausgewählt werden oder ausgewählt werden sollten. Da es dafür, außer evtl. einem Diplom in Psychologie, kaum weitere gesicherte Qualifikationskriterien gibt, erwies sich diese Frage als schwierig und in der Lösung verbesserungswürdig. Das zeigen auch "Gutachten" (psychologische Stellungnahmen) und andere Dokumente auf die dem Tagungsprotokoll beiliegen. Im Gegensatz zu den auf die Zukunft hin gerichteten Fragen der elterlichen Sorge und Umgangs muß bei Verdacht auf sexuellen Mißbrauch und sonstige Mißhandlungen wirklich auf eine streng objektive, rasche und vollständig (möglichst durch Video) dokumentierte reine Diagnostik geachtet werden. Es darf keineswegs mit dem Kind und anderen Beteiligten "gearbeitet" werden, bis es zu einer "Aufdeckung" mit oft schon vorgefaßtem Ergebnis kommt.
Formale Anforderungen, die an ein Sachverständigengutachten zu stellen sind, wurden von Prof. Dr. Karl Westhoff, Dresden, zusammengefaßt. Er führte Checklisten an, die, wenigsten seiner Meinung nach, auch jedem Nicht-Psychologen die Prüfung wichtiger formaler Aspekte eines psychologischen Gutachtens im Familienrecht ermöglichen sollten. Im zweiten Teil seines Vortrags ging er, vornehmlich für Gutachter, auf inhaltliche Bereiche und Untersuchungsprozeduren ein (vgl. Westhoff K. und Kluck, M.-L., Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen, Springer-Verlag, 3. Auflage, Berlin 1998; WDR Sendung vom 4.2.1999: "Gut"-achter in Sachen Sorgerecht.)
Was von einem psychologischen Sachverständigen erwartet wird, wurde
weiter aus der Sicht des Jugendamtes (Dr. jur
Ferdinand Kaufmann, Siegburg), der eines Rechtsanwalts
(Dr. Peter Koeppel, München) und der eines Verfahrenspflegers
(RAin Grazia Schaus, Frankfurt) präzisiert. Zu allen drei Kurzreferaten
gab es jeweils auch Workshops (1, 2, 3).
Zu diesen ebenfalls sehr wichtigen Beiträgen müssen wir zunächst
auf das Tagungsprotokoll und auf die geplante Fortsetzung dieser Rezension
verweisen, ebenso wie bei den Beiträgen zum Thema Parental
Alienation Syndrome (PAS). Dipl.Psych Ursula Kodjoe stellte eine Studie
aus dem Buch von S. S. Clawar und B. V. Rivlin "Children
Held Hostage. Dealing with Programmed und Brainwashed Children" (1991)
zur Elternentfremdung vor. Dr. P. Koeppel berichtete ergänzend
über ,,Die Drohung mit Liebesentzug als Mittel
der Programmierung des anvertrauten Kindes (PAS) im Kontext von Sorge-
und Umgangsrechtsverfahren zwischen Eltern" .
Auch auf das Referat und den Workshop von Prof. Kurt Ebert, sowie das Referat von RiLG Dr. Achim Brötel, Karlsruhe ,,Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung: Verfassung- und völkerrechtliche Vorgaben für die Durchführung kindschaftsrechrlicher Verfahren" die sich zwar nicht speziell mit psychologischen Gutachten/Fragen befassen, aber wichtige verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben für die Durchführung kindschaftsrechtlicher Verfahren enthalten, soll noch ausführlich eingegangen werden. (Die Arbeit von Dr. Brötel wird auch in der neuen Zeitschrift für Europäisches Familienrecht, Heft 2, 1999, erscheinen.)
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
Dierk Schäfer, Bad Boll ....... .....................................................................................................................1
EINFÜHRUNG
Dierk Schäfer, Bad Boll ....... .....................................................................................................................7
PSYCHOLOGIE IM FAMILIENRECHT
Prof. Siegfried Willutzki, Köln ...... .............................................................................................................8
DIE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN RICHTER UND PSYCHOLOGISCHEN
SACHVERSTÄNDIGEN IM FAMILIENRECHTLICHEN VERFAHREN
DAS RHEYDTER MODELL
Elmar Bergmann / Dr. Günter Rexilius, Mönchen-Gladbach
.........................................................................18
ANDACHT ZUR TAGUNG
Dierk Schäfer, Bad Boll ............................................................................................................................
43
GRUNDRECHTSSCHUTZ DURCH VERFAHRENSGESTALTUNG:
VERFASSUNGS UND VÖLKERRECHTLICHE VORGABEN FÜR DIE DURCHFÜHRUNG
KINDSCHAFTSRECHTLICHER VERFAHREN
RiLG Dr. Achim Brötel, Karlsruhe ...........................................................................................................
45
WORKSHOP: PSYCHOLOGIE IM FAMILIENRECHT, BILANZ
UND NEUORIENTIERUNG
Michael Stadler, München..........................................................................................................................64
MÖGLICHKEITEN ZUR VERBESSERUNG
PSYCHOLOGISCHER GUTACHTEN IM FAMILIENRECHT
Prof. Dr. Karl Westhoff, Dresden ............................................................................................................
68
STUDIE VON CLAWAR & RIVLIN
ZUR ELTERNENTFREMDUNG
Ursula O.-Kodjoe, Freiburg .....................................................................................................................80
DIE DROHUNG MIT LIEBESENTZUG
Dr. Peter Koeppel, München ..................................................................................................................
94
WAS ERWARTET DASJUGENDAMT VOM PSYCHOLOGISCHEN
SACHVERSTÄNDIGEN
Dr. Ferdinand Kaufmann, Siegburg ..........................................................................................................96
WAS ERWARTET DER RECHTSANWALT VOM PSYCHOLOGISCHEN
SACHVERSTÄNDIGEN
Dr. Peter Koeppel, München ...............................................................................................................111
WAS ERWARTET DER VERFAHRENSPFLEGER
VOM PSYCHOLOGISCHEN SACHVERSTÄNDIGEN
Grazia Schaus, Frankfurt .......................................................................................................................120
ZUSAMMENFASSUNG DES WORKSHOPS - VERFAHRENSPFLEGER
Grazia Schaus, Frankfurt ......................................................................................................................126
ZUSAMMENFASSUNG DES WORKSHOPS - RICHTER
UND SACHVERSTÄNDIGE
Elmar Bergmann, Dr. Günter Rexilius, Mönchengladbach .....................................................................128
ZUR DENATURIERUNG DES BEGRIFFS
,,KINDESWOHL"
Prof. Dr. Kurt Ebert, Innsbruck ...........................................................................................................130
WORKSHOP - ZUR DENATURIERUNG DES BEGRIFFS
,,KINDESWOHL"
Prof. Dr. Kurt Ebert, Innsbruck ..............................................................................,...........................147
MATERIALIEN:
KLEINES GLOSSAR:
GÜTEKRITERIEN ZUM TEST, PSYCHOLOGISCHE GUTACHTEN............................................150
EVALUATION PSYCHOLOGISCHER ENTSCHEIDUNGSHILFEN FÜR
FAMILIENGERICHTE ....................................................................................................................152
GUTACHTENHONORAR AUCH OHNE KLASS. STATUSGUTACHTEN
STREIT-
SCHLICHTENDER PARTEIENBERATUNG DURCH DEN GUTACHTERBESCHLUSS
AMTSGERICHT .MÖNCHENGLADBACH-RHEYDT...........................................................
.....166
DIE ROLLE DES PSYCHOLOGISCHEN GUTACHTERS NACH
INKRAFTTRETEN
DES NEUEN KINDSCHAFTSRECHTES .....................................................................................176
PSYCHOLOGISCHE STELLUNGNAHME ..................................................................................181
RÜCKNAHME DER VORBEHALTSERKLÄRUNG DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND ZUR UN-KINDERRECHTSKONVENTION ..................................................217
FRANZ KAFKA:
"VOR DEM GESETZ"........................................................................................219
N.N: VERSUCH, EINEN GUTACHTER ZU KONTROLLIEREN................................................220
D. ALBRECHT: ZUM THEMA "LÜGENDETEKTOR"................................................................
222
PRESSEBERICHTE......... ..............................................................................................................224