In den USA ist Familienrecht Sache der Einzelstaaten. Bundesgesetze und Förderungsmaßnahmen setzen lediglich Rahmenbedingungen. Aber schon wegen der großen Mobilität der Bevölkerung ist ein Bestreben nach Vereinheitlichung vorhanden. So gibt es in den Einzelstaaten Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen und zur Rechtshilfe, z.B. den "Uniform Marriage and Divorce Act" oder den "Uniform Child Custody Jurisdiction Act" der von sämtlichen Staaten in Kraft gesetzt wurde, vgl. z.B. Section 61.501-61.542 der Statuten von Florida. Der Umzug in einen anderen Staat bedarf wegen der Erschwerung des Umgangs mit den Kindern der Zustimmung des anderen Ehegatten oder des Gerichts. Aber selbst der Umzug innerhalb eines Staates unterliegt erheblichen Einschränkungen, vgl. z. B. Florida Statutes 61.13001 Parental relocation with a child..
Das gemeinsame Sorgerecht wird sehr häufig angewandt, besonders das gemeinsame rechtliche Sorgerecht ("joint legal custody") bei dem die Kinder zwar hauptsächlich bei einem Elternteil wohnen, der andere aber an allen die Kinder betreffenden wichtigen Entscheidungen teilnimmt und ein umfangreiches Umgangsrecht besitzt. [Statt "visitation" = Besuch, spricht man jetzt zunehmend von "parenting time", statt Sorgerecht von (gemeinsamer) elterlicher Entscheidungsfindung oder Elternverantwortung.]
Im Gegensatz zu Deutschland, steht auch einem nichtsorgeberechtigten Elternteil, von Ausnahmefällen abgesehen, direkte Auskunft (also nicht nur über die/den Sorgeberechtigte/n) u.a. über schulische Leistungen und gesundheitliche Probleme zu. Sehr effektiv erweist sich dabei das Bundesgesetz FAMILY EDUCATIONAL RIGHTS AND PRIVACY ACT (FERPA), das bestimmt, daß beiden Eltern, unabhängig vom Sorgerecht, von Schulen volle Information gewährt werden muß. Bei Verweigerung der Auskunft wird z.B. sehr rasch die bundesstaatliche Förderung der Schule eingestellt.
Vereinbarungen eines gemeinsamen materiellen (rotierenden) Sorgerechts ("joint physical custody") bei dem die Kinder 30-50% der Zeit bei dem anderen Elternteil wohnen, nehmen zu. Untersuchungen zeigen, daß in Staaten mit häufiger Zuerkennung der gemeinsamen materiellen Sorge (bis zu 44 % der Fälle in Montana) die Scheidungsraten fast 4 mal schneller abnahmen als in Staaten wo gemeinsame Elternschaft selten ist. Diese Staaten haben im Vergleich niedrigere Scheidungsraten. Die Erfahrung zeigt auch, daß zumindest dann wenn das Konfliktpotential zwischen den Eltern nicht sehr groß ist, sich gemeinsame Sorge sehr zum Vorteil der Kinder auswirkt. Konflikte werden durch gemeinsame Sorge nicht verstärkt, sondern meist reduziert. Eine große Zahl der Staaten geht von der gemeinsamen Sorge als Regelfall aus, oder bevorzugt diese, außer, es würde das Kindeswohl gefährden. Mißhandlung der Kinder oder des anderen Ehegatten zählen als Hinweise. Bei einer Verurteilung wegen schwerer häuslicher Gewalt muß die Annahme der Gefährdung widerlegt werden. Gemeinsame Sorge kann auch angeordnet werden wenn ein Ehepartner nicht zustimmt, z.B. California Code 3081.
Bei der Gestaltung des Sorgerechts und Bestimmung des Hauptwohnsitzes der Kinder ist es von erstrangiger Bedeutung welcher Elternteil dem anderen am ehesten einen häufigen Umgang garantiert (Bindungstoleranz), z.B. California Code 3040, Florida Code 61.13, Utah Code 30-3-10.
Im Family Code von Kalifornien (dort ist gemeinsame physische und rechtliche Sorge schon lange per Gesetz der Regelfall, Sec. 3080) sind Ausschlussgründe von der gemeinsamen elterlichen Sorge (die selbstverständlich auch für nichteheliche Kinder gilt, wenn auch die Vaterschaft erklärt wurde, vgl. Sec. 7611): fortgesetze häusliche Gewalt, Drogenmissbrauch, Kindesmissbrauch (Sec. 3011), aber (auf Antrag) auch eine Falschanschuldigung von Kindesmissbrauch (Sec. 3022.5)
In einer zunehmenden Zahl von Staaten wird von Gerichts wegen zunächst versucht, aus Gründen des Kindeswohls, die Ehe durch ein Versöhnungsverfahren zu erhalten, z.B. Kalifornien, Florida, Utah. Beratung, Mediation und Therapie (z.B. Kalifornien) wird entweder angeboten oder sogar vorgeschrieben (z.B. in Florida, Kalifornien ) bevor eine Regelung durch das Gericht erfolgt. Im Staat New York kann das Familiengericht bei Eheschwierigkeiten, unabhängig von einem Scheidungsantrag, zu einem Vermittlungsversuch angerufen werden, das dann notfalls die Teilnahme des Ehepartners anordnen kann (Sec. 911-915, 921-926).
Ein Kurs über die Folgen einer Scheidung für Eltern und Kinder wird oft auch unabhängig von einem Streitfall vorgeschrieben, z.B. in Florida, Utah, Utah Code 30-3-11.3). Der Inhalt und Umfang dieser Kurse ist allerdings sehr unterschiedlich. Als ein Beispiel unter vielen sei hier nur die offizielle Informationschrift zum seit April 1996 im Staate Arizona verpflichtenden Unterrichtsprogramm für Eltern erwähnt (pdf Datei). Ein "Erlebnisbericht" (2001) zu einem solchen Unterricht (4-6 Stunden) am Maricopa County Superior Court in Arizona findet sich in http://www.equalparenting.org/parents_classes.htm. Dieser Gerichtshof hat auch den 42 minütigen Film "A View For The Bench" produziert, der Familienrichter über milde bis schwere Formen des Parental Alienation Syndroms (PAS) informieren soll und laut Ankündigung des Gerichts den Richtern auch helfen soll chronische Verletzer des Umgangsrechts zu identifizieren und diese Eltern an Unterricht über die Folgen von Hochkonflikt für die Kinder zu verweisen. Eine genauere Beschreibung dieses Films findet sich bei Summers & Summers (2006).
Zwei weitere Filme des Maricopa Court für Eltern zum Umgang, "Children of Divorce" und"Parents on the See-saw" können direkt von den Webseiten des Gerichts herunter geladen werden, ebenso weitere, sehr lesenswerte Informationen für Eltern. Das sehr erfolgreiche Programm dieses Gerichtsbezirkes ist auch auf den Webseiten des U.S. Gesundheitsministeriums zu der unter Präsident Clinton gestarteten "Fatherhood Initiative", sowie in einem lesenswerten Bericht des britischen Parlaments "Family Justice: the operation of the family courts" beschrieben ( pdf Datei). Hinweis: Der Film "Children of Divorce" (16:17 min) kann von hier direkt gesehen (z. B. mit Windows Media Player) oder gespeichert (12.7.MB) werden. Er beschreibt in erster Linie die Erfahrungen von Kindern nach einer konfliktreichen Trennung / Scheidung. Der Film "A View For the Bench" wird nur an Personen des Justizwesens abgegeben.
Über ein verpflichtendes Kursprogramm aus Florida (1996) nach Florida statutes Section 61.21, das auch Information über PAS enthält, haben wir schon vor (8) Jahren berichtet, ebenso über verpflichtende Mediation in Kalifornien etc. Wiederum als ein Beispiel unter vielen hier Informationen zum 1997 im Staate Utah per Gesetz eingeführten verpflichtenden Co-Parenting Mediation Program.
Diese Programme begannen in den USA in den 80er Jahren und jetzt hat die Mehrheit der Bundesstaaten solche verpflichtende Programme, manche Gerichtsbezirke auch eigene für Kinder zwischen 6 und 17 Jahren. Viele Gerichtsbezirke verlangen auch als Scheidungsvoraussetzung, dass die Eltern einen gemeinsamen parenting plan (Sorgeplan) vorlegen, auf den sie sich ggfs. mit Hilfe von Mediation einigen sollen, vgl. z. B. Hamilton County, Tennessee, seit Dezember 1997.
Die anstehende Reform in Deutschland (FamFG, etwa 2009) will leider wieder nur äußerst zaghafte, kleine Schritte in diese Richtung gehen. Selbst dagegen versuchen sich aber die "BedenkenträgerInnen" und "IdeologInnen" in diesem Lande heftigst zu wehren, gegen eine "Zwangsberatung" oder "Zwangsmediation", wie sie es nennen. Voraussetzung für den Erfolg solcher Programme ist allerdings, dass die Kursleiter und Mediatoren sehr hohe und genau definierte Qualifikationsanforderungen erfüllen, wie sie etwa in den USA verlangt werden, oder in Österreich für Co-Mediatiation durch ein Psychologen / Juristenteam, was aber leider hierzulande auch nicht gewährleistet scheint.
Verpflichtend bei Mediation kann selbstverständlich nur sein, dass zumindest ein ernsthafter Versuch zu einer einvernehmlichen Lösung unternommen wird. Diese Verpflichtung besteht auch nicht, sollte tatsächlich schweres Fehlverhalten (Gewalt etc.) eines Partners vorliegen.
In verschiedenen Staaten gibt es ausführliche Richtlinien für einen häufigen Umgang, einschließlich einer Minimalregelung, z.B. im Utah Code 30-3-35. Zur Durchsetzung eines häufigen Umgangs setzt man bei Bedarf meist auf (obligatorische) Beratung, Mediation und Therapie, bevor Sanktionen wie Auferlegung der Gerichts-, Anwalts-, Umgangs- und Beratungskosten, Arbeit für das Gemeinwohl, Geldstrafen, Gefängnis und Sorgerechtsumkehr ergriffen werden, vgl. VfK Info 3/98.
Sorge/Umgangsrechtsfragen müssen gegenüber anderen gerichtlichen Regelungen beschleunigt behandelt werden, z.B. innerhalb von 30-60 Tagen (z.B. Kalifornien). Der Zeitfaktor spielt nämlich besonders bei der Eltern-Kind-Entfremdung (PAS) eine ganz grundlegende Rolle. Vgl. dazu die amerikanische Praxis gegenüber der in Deutschland bei der Terminierung von Verfahren (Die bevorstehende FGG Reform sieht hier eine begrüßenswerte Verbessessung vor.) Auch die gerichtliche Auseinandersetzung, mit gegenseitigen Anschuldigungen der beiden Parteien, trägt leider stark dazu bei. Deshalb gibt es starke Bestrebungen, diese Auseinandersetzung durch möglichst frühzeitige Vermittlungsgespräche zu vermeiden oder wenigstens zu mildern.
In vielen Staaten wird (bei Bedarf) dem Kind vom Gericht ein Vertreter im Verfahren beigestellt. Dieser "guardian ad litem" (G.A.L.) ist ein Verfahrenspfleger, also sowohl von einem Vormund als auch von einem Prozeßbevollmächtigten (Anwalt) des Kindes zu unterscheiden. Er/sie braucht im allgemeinen kein Anwalt zu sein, muß sich aber in einem speziellen, von Staat zu Staat unterschiedlichen Ausbildungsprogramm qualifizieren (vgl. z.B. Florida). Er / sie vertritt die Interessen des Kindes, ist aber für alle Parteien ansprechbar, versucht auch zwischen diesen zu vermitteln, berichtet aber auch dem Gericht.
Eine ganz besonders wichtige Erkenntnis die sich in den USA immer mehr durchsetzt aber hier leider noch nicht einmal im Ansatz vorhanden zu sein scheint, ist, daß die verschiedenen Helfer, wie die Anwälte der beiden Parteien, Anwalt des Kindes, Mediatoren, Therapeuten und das Gericht zum Wohle des Kindes eng zusammenarbeiten müssen (vgl. z.B. Familienkriege -die Entfremdung von Kindern). Nur das Gericht hat aber die Macht das auch durchzusetzen. Sehr oft wird dazu vom Gericht ein erfahrener Manager (case manager, special master, family master) eingesetzt der das Verfahren koordiniert, vorantreibt und dazu weitreichende Vollmachten besitzt, z.B. Anhörungen durchzuführen, Berichte anzufordern etc. Gerade bei konfliktreicher Trennung/Scheidung allgemein, ohne Therapie und einem gewissen Druck (durch das Gericht), nur an die Vernunft zu apellieren geht völlig ins Leere, besonders wenn das Gericht noch dazu "Gewinner" (Alleinsorgende) und "Verlierer" (die bestenfalls ihre Kinder besuchen dürfen, und daß dann effektiv meist nicht auf Dauer) kreiert. Nachtrag 2006: Das Cochemer Modell hat Elemente dieses Ansatzes aufgegriffen, soweit dies im Rahmen des bestehenden deutschen Familienrechtes möglich ist.
Man hat in den USA längst erkannt, daß das traditionelle Gerichtsverfahren, mit einer Gegnerschaft die auch die Prozeßbevollmächtigten konsequent vertreten und das dann "Gewinner" und "Verlierer" schafft, besonders bei Familiensachen mit Kindern die Probleme oft verschärft, statt sie zu lösen (vgl. z.B. "Family Structure and the law", Anhörung im U. S. Kongreß). Deshalb mißt man alternativen Methoden der Konfliktlösung und der entsprechenden Neudefinition der Rolle des Gerichts besondere Bedeutung bei. Das ist nach den Empfehlungen (1996) einer Kommission des amerikanischen Kongreßes zur Elternschaft vordringlicher als die Reform von Gesetzen zur Ausgestaltung des Sorge/Umgangsrechtes. Letzeres will man vornehmlich den Eltern überlassen, die dazu gemeinsam einen detaillierten Plan (parenting plan) ausarbeiten sollen oder müssen. Bei Unstimmigkeiten erweist sich Mediation als besonders hilfreich. Die meisten Eltern kommen dabei zu einer Vereinbarung, besonders wenn Mediation nicht nur angeboten sondern vorgeschrieben wird (z.B. 80% in Maine oder sogar 92% in einem Bezirk von Wisconsin). Der Zufriedensheitsgrad der Eltern ist gleichermaßen hoch. Die Zahl der strittigen Fälle die noch vom Gericht zu entscheiden sind hat sich z.B. in Kalifornien nach Einführung der Mediationsverpflichtung von 20% auf 5% reduziert. Weil es aber bei Sorgerechtsentscheidungen in erster Linie um die langfristige Zukunft geht, sind Langzeitstudien besonders wichtig. Auch hier zeigt sich ein klarer Vorteil alternativer Methoden der Konfiktlösung gegenüber der tradionellen gerichtlichen Auseinandersetzung, wie z.B. aus der Studie von P. A. Dillon & R. E. Emery, "Divorce mediation and resolution of child custody disputes: long-term effects", Am. J. of Orthopsychiatry 1996, 66(1), S.131-140, hervorgeht. Neun Jahre nach der Regelung zeigte sich, daß nach Mediation im Vergleich zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung der nichtanwesende (nichtsorgende) Elternteil mehr Kontakt mit den Kindern hatte und in einem größeren Ausmaß in Entscheidungen einbezogen wurde. Diese Eltern sprachen auch häufiger miteinander über ihre Kinder.
Eine sehr lesenwerte Zusammenfassung zur Entwicklung und Bestimmung des Sorgerechtes in den USA, selbst wenn einige Zahlen, z.B. bzgl. der Häufigkeit gemeinsamer materieller Sorge, nicht mehr dem neuesten Stand entsprechen, ist von Joan B. Kelly, Ph.D. unter dem Titel "The Determination of Child Custody in the USA" (pdf Datei) erschienen. Die Psychologin Dr. Kelly leitet das Northern California Mediation Center in Corte Madera, ist frühere Präsidentin der Academy of Family Mediators und Ko-autorin, mit Judith Wallerstein, des berühmtern Buches "Surving the Breakup. How Children and Parents Cope with Divorce" (1979) das auf einer berühmten Langzeitstudie basiert. Daraus auch etwas zur Aufheiterung:
Bei der Diskussion der Kindeswohlstandards wendet sie sich gegen die Bevorzugung (nach dem Kontinuitätsprinzip) der/des früher Hauptsorgenden ("primary caretaker"), weil dieser Term zwar geschlechtsneutral sei, aber praktisch immer die Mutter meine und die wichtige komplementäre Rolle des Vaters vernachlässige. Zur Illustration erwähnt sie, wie R. Henry auch, den "geschlechtsneutralen" Vorschlag einer Rechtsprofessorin, Carol S. Bruch, wonach dem Elternteil mehr Kredit zukomme ,,der wesentlich mehr Zeit und Mühe auf Bruststillen verwendet hat als der andere".
Wir werden, außer einem Ausbau dieser Übersicht, weiter über einzelne Maßnahmen detaillierter berichten:
Umgangsdurchsetzungsgesetz von Florida (1996). Deutsche Zusammenfassung (VfK Info 3/98)
Beispiel eines Pflichtkurses über Elternverantwortung bei Scheidung (Florida) (13.02.98)
Empirische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Sorgerecht und Scheidungsraten in den USA.
Anhörung zu ,,Family structure and the law" von Ronald K. Henry [Mitglied des Sorgerechtskomitees der American Bar Association (Anwaltsverein)] durch den amerikanischen Kongreß.
THE PRIMARY CARETAKER THEORY: Backsliding To The "Tender Years" Doctrine by Ronald K. Henry.
"The Determination of Child Custody in the USA" by Joan B. Kelly, Ph.D. (pdf Datei)
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Zuletzt aktualisiert am 12.9.2006